In mei­nem vor­he­ri­gen Beitrag habe ich den wirt­schaft­li­chen Wandel der letz­ten 40 Jahre beleuch­tet. Dabei kam her­aus, dass die­je­ni­gen, die ihr Geld auf dem Sparkonto las­sen, zu den Verlierern gehö­ren. Denn wäh­rend die Löhne sta­gnie­ren, sind die Kapitalerträge stark gestie­gen. Natürlich gibt es auch einen Haken: Der Kapitalertrag kann über einen gewis­sen Zeitraum hin­weg auch nega­tiv aus­fal­len. Seit 2008, aber auch schon frü­her, wur­den Investoren immer wie­der durch Interventionen der ein­zel­nen Zentralbanken vor Schlimmerem bewahrt. Ich bin immer wie­der erstaunt, wel­che Instrumente die Zentralbanken her­vor­zau­bern, um eine grös­se­re Krise abzu­wen­den oder in die Zukunft zu ver­schie­ben. Dies ist auch das Thema die­ses Beitrags. Natürlich haben die­se Interventionen erheb­li­che Nebenwirkungen, da oft­mals nur die Symptome behan­delt wer­den, wäh­rend die­je­ni­gen, die han­deln soll­ten, wei­ter­hin untä­tig bleiben.

Die ame­ri­ka­ni­sche Federal Reserve (FED), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) haben ihre Bilanzen in einem his­to­risch bei­spiel­lo­sen Ausmass aus­ge­wei­tet. Diese Entwicklung begann mit dem berühm­ten “Greenspan Put” nach dem Börsencrash von 1987 und erreich­te ihren vor­läu­fi­gen Höhepunkt wäh­rend der Corona-Pandemie. Doch der Preis für die­se Politik wird immer deut­li­cher: Vermögenspreisinflation, Marktverzerrungen und eine gefähr­li­che Abhängigkeit der Märkte von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung.

Der vor­lie­gen­de Beitrag ana­ly­siert die Entwicklung die­ser drei bedeu­ten­den Zentralbanken, ihre unter­schied­li­chen Motive und die lang­fris­ti­gen Konsequenzen ihrer Interventionspolitik. Dabei zeigt sich ein beun­ru­hi­gen­des Muster: Was als tem­po­rä­re Krisenbekämpfung begann, ist zu einer Dauereinrichtung gewor­den, die neue Risiken schafft und die Grundlagen des frei­en Marktes untergräbt.

Der Ursprung: Greenspan Put und der Beginn einer neuen Ära

Der Börsencrash von 1987 als Wendepunkt

Am 19. Oktober 1987 erleb­ten die Weltbörsen den gröss­ten Kurssturz seit der Weltwirtschaftskrise. Der Dow Jones Industrial Average ver­lor an einem ein­zi­gen Tag 22.6 Prozent sei­nes Wertes. In die­ser kri­ti­schen Situation griff die FED unter Alan Greenspan erst­mals mas­siv ein und signa­li­sier­te den Märkten, dass sie als Käufer letz­ter Instanz fun­gie­ren wer­de. Greenspan erklär­te damals: “Die Federal Reserve ist bereit, als Liquiditätsquelle zu die­nen, um die wirt­schaft­li­che und finan­zi­el­le Stabilität zu unter­stüt­zen.” Diese schein­bar harm­lo­se Aussage mar­kier­te den Beginn einer neu­en Ära in der Geldpolitik. Die Märkte inter­pre­tier­ten die­se Botschaft als impli­zi­te Versicherung gegen grös­se­re Verluste.

Die Geburt des “Greenspan Put”

Der Begriff “Greenspan Put” ent­stand in Anlehnung an Finanzoptionen. Eine Put-Option gewährt dem Inhaber das Recht, einen Vermögenswert zu einem fest­ge­leg­ten Preis zu ver­kau­fen und schützt somit vor Verlusten. Die FED über­nahm fak­tisch die­se Rolle für die gesam­ten Finanzmärkte. Diese impli­zi­te Versicherung hat­te weit­rei­chen­de Folgen: Investoren began­nen, höhe­re Risiken ein­zu­ge­hen, weil sie dar­auf ver­trau­ten, dass die Zentralbank im Krisenfall ein­grei­fen wür­de. Das Phänomen des “Moral Hazard” ent­stieg aus die­ser Politik – die Privatisierung von Gewinnen bei gleich­zei­ti­ger Sozialisierung von Verlusten.

Die Märkte gewöhn­ten sich an die­se Unterstützung und ent­wi­ckel­ten eine gefähr­li­che Abhängigkeit von zen­tral­bank­li­chen Interventionen. Jeder Kursrückgang wur­de zur Gelegenheit für wei­te­re Käufe, weil die Anleger auf das ret­ten­de Eingreifen der FED spekulierten.

Die globale Finanzkrise 2008: Zeitenwende in der Geldpolitik

Der Kollaps von Lehman Brothers als Katalysator

Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 erschüt­ter­te das glo­ba­le Finanzsystem in sei­nen Grundfesten. Binnen weni­ger Tage brach das Vertrauen zwi­schen den Banken zusam­men, Kreditmärkte trock­ne­ten aus und eine welt­wei­te Rezession wur­de unvermeidlich.

Die tra­di­tio­nel­le Geldpolitik stoss an ihre Grenzen. Die Leitzinsen waren bereits auf his­to­ri­sche Tiefststände gesenkt wor­den, doch die Märkte beru­hig­ten sich nicht. Die Zentralbanken muss­ten neue, unkon­ven­tio­nel­le Instrumente ent­wi­ckeln, um die Krise zu bewältigen.

Quantitative Easing als neues Paradigma

In die­ser aus­ser­ge­wöhn­li­chen Situation führ­ten die Zentralbanken das “Quantitative Easing” (QE) ein. Statt nur die kurz­fris­ti­gen Zinsen zu steu­ern, began­nen sie, mas­si­ve Mengen an Staatsanleihen und ande­ren Wertpapieren zu kau­fen. Das Ziel war es, die gesam­te Zinskurve zu beein­flus­sen und Liquidität direkt in die Märkte zu pum­pen. Diese Politik war ein Paradigmenwechsel von his­to­ri­scher Tragweite. Erstmals in der moder­nen Geschichte grif­fen Zentralbanken direkt in die Preisbildung lang­fris­ti­ger Anleihen ein und ver­zerr­ten damit fun­da­men­ta­le Marktmechanismen. Die inter­na­tio­na­le Koordination zwi­schen den gros­sen Zentralbanken ver­stärk­te die­se Effekte zusätz­lich. Synchrone Zinssenkungen und abge­stimm­te QE-Programme schu­fen eine glo­ba­le Liquiditätsschwemme, die alle Anlageklassen erfasste.

Die FED: Pionier der expansiven Geldpolitik

Die QE-Programme im Detail

Die ame­ri­ka­ni­sche Zentralbank star­te­te bereits im November 2008 ihr ers­tes Quantitative-Easing-Programm (QE1). Zwischen 2008 und 2014 folg­ten QE2, Operation Twist und QE3. Insgesamt kauf­te die FED Wertpapiere im Umfang von über 3.5 Billionen US-Dollar und erwei­ter­te ihre Bilanz von 900 Milliarden auf über 4.5 Billionen Dollar. QE1 kon­zen­trier­te sich auf den Kauf von Mortgage-Backed Securities, um den zusam­men­ge­bro­che­nen Hypothekenmarkt zu sta­bi­li­sie­ren. QE2 und QE3 ziel­ten pri­mär auf Staatsanleihen ab, um die gesam­te Zinskurve zu sen­ken und die Wirtschaft anzukurbeln.

Die Operation Twist war ein beson­ders raf­fi­nier­tes Programm: Die FED ver­kauf­te kurz­fris­ti­ge Staatsanleihen und kauf­te gleich­zei­tig lang­fris­ti­ge Papiere, um die Zinskurve zu “ver­dre­hen” und lang­fris­ti­ge Zinsen zu sen­ken, ohne die Bilanz wei­ter auszuweiten.

Erfolge und Nebenwirkungen der FED-Politik

Die expan­si­ve Geldpolitik der FED erziel­te durch­aus ihre beab­sich­tig­ten Effekte. Die ame­ri­ka­ni­sche Wirtschaft erhol­te sich schnel­ler als Europa von der Finanzkrise, die Arbeitslosigkeit sank kon­ti­nu­ier­lich und die Staatsfinanzierung wur­de erheb­lich erleich­tert. Doch die Nebenwirkungen waren beträcht­lich. Die nied­ri­gen Zinsen führ­ten zu einem bei­spiel­lo­sen Boom an den Aktien- und Immobilienmärkten. Der S&P 500 stieg von sei­nem Krisentief 2009 bis 2021 um über 600 Prozent. Parallel dazu ent­stan­den Zombie-Unternehmen, die nur dank der nied­ri­gen Zinsen über­le­ben konn­ten. Die Vermögensungleichheit ver­schärf­te sich dra­ma­tisch. Während Vermögensbesitzer von stei­gen­den Preisen pro­fi­tier­ten, blie­ben die Reallöhne der brei­ten Bevölkerung sta­g­nant. Das obers­te Prozent der ame­ri­ka­ni­schen Haushalte kon­trol­lier­te 2020 über 30 Prozent des gesam­ten Vermögens.

Der Ausstieg aus der expan­si­ven Politik erwies sich als äus­serst schwie­rig. Als die FED 2013 erst­mals andeu­te­te, ihre Anleihekäufe zu redu­zie­ren, führ­te dies zum “Taper Tantrum” – einem hef­ti­gen Ausverkauf an den Anleihemärkten, der die Zentralbank zum Rückzieher zwang.

Die EZB: Zwischen Schuldenkrise und politischer Balance

Besondere Herausforderungen der Eurozone

Die EZB steht vor der ein­zig­ar­ti­gen Aufgabe, eine Geldpolitik für 19 Länder mit unter­schied­li­chen Wirtschaftsstrukturen und Finanzlagen zu betrei­ben. Diese Komplexität wur­de wäh­rend der euro­päi­schen Schuldenkrise ab 2010 beson­ders deut­lich. Während Deutschland eine robus­te Wirtschaft und soli­de Staatsfinanzen auf­wies, kämpf­ten Griechenland, Italien, Spanien und Portugal mit hoher Verschuldung und schwa­chem Wachstum. Die ein­heit­li­che Währung ver­un­mög­lich­te Wechselkursanpassungen, die tra­di­tio­nell als Ventil für Ungleichgewichte gedient hatten.

Draghis “Whatever it takes” als Wendepunkt

Am 26. Juli 2012 sprach EZB-Präsident Mario Draghi die berühm­ten Worte: “Within our man­da­te, the ECB is rea­dy to do wha­te­ver it takes to pre­ser­ve the euro. And belie­ve me, it will be enough.” Diese Aussage stopp­te die Spekulationen gegen den Euro schlag­ar­tig und ret­te­te die Gemeinschaftswährung. Der Erfolg basier­te pri­mär auf der Glaubwürdigkeit der Ankündigung. Paradoxerweise muss­te die EZB zunächst gar nicht han­deln – die blos­se Zusage reich­te aus, um die Märkte zu beru­hi­gen. Dies demons­trier­te die enor­me Macht moder­ner Zentralbankkommunikation.

Die EZB-Programme im Überblick

Die EZB ent­wi­ckel­te eine Reihe unkon­ven­tio­nel­ler Instrumente. Das Outright Monetary Transactions (OMT) Programm erlaub­te den theo­re­tisch unbe­grenz­ten Kauf von Staatsanleihen kri­sen­ge­schüt­tel­ter Länder. Die Long-Term Refinancing Operations (LTRO) stell­ten den Banken lang­fris­ti­ge Liquidität zu güns­ti­gen Konditionen zur Verfügung.

Ab 2015 star­te­te die EZB ihr eige­nes QE-Programm, das Public Sector Purchase Programme (PSPP). Bis 2018 kauf­te sie Staatsanleihen im Umfang von 2.6 Billionen Euro. Während der Corona-Pandemie folg­te das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) mit einem Volumen von wei­te­ren 1.85 Billionen Euro.

Rechtliche Kontroversen und Mandatsüberschreitung

Die Staatsanleihekäufe der EZB waren recht­lich höchst umstrit­ten. Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ver­bie­tet expli­zit die mone­tä­re Finanzierung von Mitgliedstaaten. Die EZB argu­men­tier­te, dass ihre Käufe am Sekundärmarkt statt­fän­den und daher legal sei­en. Kritiker sahen dar­in jedoch eine Umgehung des Verbots. Das deut­sche Bundesverfassungsgericht äus­ser­te wie­der­holt Bedenken und droh­te sogar mit einem Ausstieg der Bundesbank aus den Programmen. Besonders das PSPP-Programm stand im Fokus der Kritik, da es nach Ansicht der Karlsruher Richter unver­hält­nis­mäs­sig war und das Mandat der EZB über­schritt. Der Europäische Gerichtshof wider­sprach die­ser Einschätzung zwar, doch die recht­li­chen Zweifel blie­ben bestehen. Die EZB beweg­te sich fak­tisch in einer Grauzone zwi­schen Geldpolitik und Fiskalpolitik.

Diese Programme sta­bi­li­sier­ten zwar die Eurozone, schu­fen aber auch neue Probleme. Die nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten den Reformdruck in hoch­ver­schul­de­ten Ländern. Italien bei­spiels­wei­se nutz­te die güns­ti­gen Finanzierungsbedingungen nicht für Strukturreformen, son­dern zur Aufrechterhaltung des Status quo. Die poli­ti­schen Spannungen zwi­schen den nörd­li­chen und süd­li­chen Euroländern ver­schärf­ten sich. Deutsche Sparer kri­ti­sier­ten die “Enteignung” durch Negativzinsen, wäh­rend süd­eu­ro­päi­sche Länder von der locke­ren Geldpolitik profitierten.

Die SNB: Kleiner Player mit grossem Balance Sheet

Die Schweiz als sicherer Hafen

Die Schweiz geniesst tra­di­tio­nell den Status eines siche­ren Hafens in tur­bu­len­ten Zeiten. Diese Eigenschaft ver­stärk­te sich wäh­rend der Finanzkrisen der letz­ten Jahre erheb­lich. Internationale Investoren flüch­te­ten mas­sen­haft in Schweizer Franken, was einen enor­men Aufwertungsdruck auf die Währung aus­üb­te. Für eine export­ori­en­tier­te Volkswirtschaft wie die Schweiz stell­te dies eine exis­ten­zi­el­le Bedrohung dar. Ein über­be­wer­te­ter Franken hät­te die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen mas­siv beein­träch­tigt und die Wirtschaft in eine Deflationsspirale stür­zen können.

Der Mindestkurs als radikales Experiment

Am 6. September 2011 ver­kün­de­te die SNB eine bei­spiel­lo­se Massnahme: Sie führ­te einen Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro ein und ver­sprach, die­sen “mit aller Entschlossenheit” zu ver­tei­di­gen. Diese Ankündigung kam einem Paradigmenwechsel gleich – erst­mals in ihrer Geschichte gab die SNB ein expli­zi­tes Wechselkursziel aus. Die Verteidigung des Mindestkurses erfor­der­te mas­si­ve Deviseninterventionen. Zwischen 2011 und 2015 kauf­te die SNB Euro im Umfang von über 500 Milliarden Franken. Ihre Bilanz schwoll von 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts auf über 80 Prozent an.

Am 15. Januar 2015 kapi­tu­lier­te die SNB über­ra­schend und hob den Mindestkurs auf. Der Franken schoss inner­halb von Minuten um über 30 Prozent in die Höhe. Viele Devisenhändler und auch Privatanleger erlit­ten mas­si­ve Verluste. Diese Episode demons­trier­te die Grenzen selbst der mäch­tigs­ten Zentralbanken gegen Marktdruck.

Die SNB als globaler Investor

Die Deviseninterventionen ver­wan­del­ten die SNB in einen der gröss­ten insti­tu­tio­nel­len Investoren der Welt. Mit Währungsreserven von über 900 Milliarden Franken (Stand 2023) über­trifft sie sogar man­che Staatsfonds. Ein beträcht­li­cher Teil die­ser Reserven ist in Aktien ange­legt. Die SNB hält bedeu­ten­de Beteiligungen an ame­ri­ka­ni­schen Technologiekonzernen wie Apple, Microsoft und Google. Diese Konstellation führt zu bizar­ren Situationen: Die Schweizer Zentralbank pro­fi­tiert von stei­gen­den Tech-Aktien, wäh­rend sie gleich­zei­tig für Preisstabilität sor­gen soll.

Die rie­si­ge Bilanz macht die SNB extrem anfäl­lig für Wechselkursschwankungen. Wertet der Franken gegen­über den Anlagewährungen auf, ent­ste­hen mas­si­ve Buchverluste. 2022 ver­buch­te die SNB einen Verlust von 132 Milliarden Franken – den gröss­ten in ihrer Geschichte. Die expan­si­ve Geldpolitik trug auch zum Immobilienboom in der Schweiz bei. Die Hypothekarzinsen san­ken auf his­to­ri­sche Tiefststände, was die Nachfrage nach Wohneigentum anheiz­te. Die Immobilienpreise stie­gen zwi­schen 2009 und 2022 um über 60 Prozent.

Gemeinsame Muster und fundamentale Unterschiede

Einheitliche Trends in der Zentralbankpolitik

Trotz unter­schied­li­cher insti­tu­tio­nel­ler Rahmenbedingungen zei­gen alle drei Zentralbanken bemer­kens­wer­te Gemeinsamkeiten in ihrer Entwicklung. Die Bilanzausweitung war über­all dra­ma­tisch: Die FED ver­grös­ser­te ihre Bilanz um das Neunfache, die EZB um das Sechsfache und die SNB sogar um das Zwölffache.

Alle erreich­ten die Zinsuntergrenze und expe­ri­men­tier­ten mit Negativzinsen. Die direk­ten Marktinterventionen wur­den zur Normalität, obwohl sie ursprüng­lich als Notfallmassnahmen kon­zi­piert waren. Die Kommunikationspolitik ent­wi­ckel­te sich zu einem eigen­stän­di­gen geld­po­li­ti­schen Instrument.

Unterschiedliche Motive und Strategien

Trotz ähn­li­cher Instrumente ver­folg­ten die drei Zentralbanken unter­schied­li­che Ziele. Die FED kon­zen­trier­te sich pri­mär auf die Konjunkturstützung und die Beeinflussung der Zinsstruktur. Ihre Dual-Mandate-Strategie erlaub­te eine fle­xi­ble­re Politik als das rei­ne Inflationsziel ande­rer Notenbanken.

Die EZB kämpf­te vor­ran­gig um das Überleben der Gemeinschaftswährung. Ihre Politik ziel­te dar­auf ab, Fragmentierungsrisiken zu redu­zie­ren und die Transmission geld­po­li­ti­scher Impulse in alle Mitgliedsländer sicher­zu­stel­len. Die indi­rek­te Staatsfinanzierung wur­de dabei not­ge­drun­gen in Kauf genommen.

Die SNB ver­folg­te ein klar defi­nier­tes Wechselkursziel, um die Schweizer Wirtschaft vor defla­tio­nä­ren Kräften zu schüt­zen. Ihre Politik war pri­mär defen­siv aus­ge­rich­tet und reagier­te auf exter­ne Schocks.

Grössenordnungen im Vergleich

Die rela­ti­ven Ausmasse der Bilanzerweiterungen unter­schie­den sich erheb­lich. Während die FED-Bilanz 2023 etwa 30 Prozent des ame­ri­ka­ni­schen BIP umfass­te, erreich­te die EZB-Bilanz rund 60 Prozent der Eurozone-Wirtschaftsleistung. Die SNB über­traf bei­de mit über 100 Prozent des Schweizer BIP.

Notenbankbbilanz in % des BIP (2023-2025)

Diese Unterschiede spie­geln die ver­schie­de­nen Herausforderungen wider: Die SNB muss­te gegen den Aufwertungsdruck einer klei­nen, offe­nen Volkswirtschaft kämp­fen. Die EZB benö­tig­te mas­si­ve Interventionen, um die frag­men­tier­te Eurozone zu sta­bi­li­sie­ren. Die FED konn­te auf­grund der Reservewährungsstellung des Dollars mode­ra­ter agieren.

Nebenwirkungen und unbeabsichtigte Folgen

Der permanente “Zentralbank-Put”

Was ursprüng­lich als Notfallmassnahme gedacht war, ent­wi­ckel­te sich zu einer Dauereinrichtung. Die Märkte gewöhn­ten sich an die Unterstützung und preis­ten sie in ihre Kalkulationen ein. Jeder grös­se­re Kursrückgang führ­te zu Spekulationen über neue Interventionen.

Diese Erwartungshaltung ver­än­der­te das Verhalten der Marktteilnehmer fun­da­men­tal. Risikobewertungen wur­den ver­nach­läs­sigt, weil das Verlustrisiko als begrenzt wahr­ge­nom­men wur­de. Investoren ent­wi­ckel­ten eine “Buy-the-Dip”-Mentalität, die auf dem Vertrauen in zen­tral­bank­li­che Unterstützung basierte.

Vermögenspreisinflation als ungewollte Konsequenz

Die expan­si­ve Geldpolitik führ­te zu einer bei­spiel­lo­sen Vermögenspreisinflation. Aktien, Immobilien und Anleihen stie­gen glei­cher­mas­sen und erreich­ten his­to­ri­sche Bewertungsniveaus. Diese Entwicklung war nicht geplant, aber unver­meid­lich, da die über­schüs­si­ge Liquidität irgend­wo inves­tiert wer­den muss­te. Die Vermögenspreisinflation ver­schärf­te die gesell­schaft­li­che Ungleichheit dra­ma­tisch. Vermögensbesitzer pro­fi­tier­ten über­pro­por­tio­nal, wäh­rend Menschen ohne Kapitaleinkommen leer aus­gin­gen. In den USA besass 2023 das obers­te Prozent der Haushalte mehr Vermögen als die unte­ren 50 Prozent zusammen.

Sinkender Reformdruck und politische Verzerrungen

Die nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten den Reformdruck für hoch­ver­schul­de­te Staaten erheb­lich. Länder wie Italien konn­ten sich trotz struk­tu­rel­ler Probleme güns­tig refi­nan­zie­ren und ver­scho­ben not­wen­di­ge Reformen auf unbe­stimm­te Zeit. Diese Entwicklung unter­gräbt lang­fris­tig die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft. Ineffiziente Strukturen wer­den künst­lich am Leben erhal­ten, statt durch pro­duk­ti­ve­re Alternativen ersetzt zu wer­den. Das Phänomen der Zombie-Unternehmen brei­te­te sich aus – Firmen, die nur dank nied­ri­ger Zinsen über­le­ben können.

Gefährliche Abhängigkeiten

Die Märkte ent­wi­ckel­ten eine bedenk­li­che Abhängigkeit von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung. Jede Andeutung einer Politikänderung führ­te zu hef­ti­gen Reaktionen. Der “Taper Tantrum” von 2013, die Marktturbulenzen Ende 2018 und die Verwerfungen wäh­rend der ers­ten Zinserhöhungen 2022 demons­trier­ten die­se Fragilität. Diese Abhängigkeit schränkt den Handlungsspielraum der Zentralbanken ein. Sie wer­den zu Gefangenen ihrer eige­nen Politik und kön­nen nicht mehr glaub­wür­dig mit einer Normalisierung dro­hen, ohne schwe­re Marktturbulenzen zu riskieren.

Die Inflation nach 2020: Mitschuld der Zentralbanken?

Inflation von 2003 - 2005

Komplexe Ursachenanalyse

Die Inflation, die ab 2021 in den ent­wi­ckel­ten Volkswirtschaften auf­trat, hat­te mul­ti­ple Ursachen. Die Corona-Pandemie stör­te glo­ba­le Lieferketten mas­siv und führ­te zu Engpässen bei wich­ti­gen Rohstoffen und Vorprodukten. Der Krieg in der Ukraine ver­stärk­te die­se Probleme, ins­be­son­de­re bei Energie und Nahrungsmitteln. Politische Faktoren spiel­ten eben­falls eine wich­ti­ge Rolle. Massive Fiskalpakete pump­ten Kaufkraft in die Wirtschaft, wäh­rend das Angebot pan­de­mie­be­dingt redu­ziert war. Diese Nachfrage-Angebot-Schere trieb die Preise nach oben.

Doch die mone­tä­ren Faktoren dür­fen nicht igno­riert wer­den. Jahrzehntelange Liquiditätsexpansion hat­te die Grundlage für infla­tio­nä­re Entwicklungen geschaf­fen. Die ultra-nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten die Sparneigung und för­der­ten den Konsum. Zudem führ­ten sie zu Fehlinvestitionen in unpro­duk­ti­ve Bereiche.

Versäumnisse in der Geldpolitik

Die Zentralbanken unter­schätz­ten die Inflationsgefahr und hiel­ten zu lan­ge an ihrer “Lower for Longer”-Strategie fest. Noch 2021 bezeich­ne­ten FED-Chef Jerome Powell und EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Inflation als “vor­über­ge­hend” und “tran­si­to­risch”. Diese Fehleinschätzung hat­te schwer­wie­gen­de Folgen. Als die Inflation sich als hart­nä­cki­ger erwies als erwar­tet, muss­ten die Zentralbanken abrupt ihre Politik ändern. Die FED hob die Zinsen zwi­schen 2022 und 2023 um 525 Basispunkte an – eine der aggres­sivs­ten Zinszyklen der Geschichte.

Leitzinsen von 2003 - 2005

Die EZB hink­te deut­lich hin­ter­her und begann erst im Juli 2022 mit Zinserhöhungen, obwohl die Inflation bereits zwei­stel­li­ge Werte erreicht hat­te. Diese Verzögerung ver­stärk­te die infla­tio­nä­ren Erwartungen und erschwer­te die spä­te­re Bekämpfung.

Folgen der verspäteten Reaktion

Der Vertrauensverlust in die Inflationsbekämpfung war beträcht­lich. Umfragen zeig­ten, dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Kompetenz der Zentralbanken ver­lo­ren hat­te. Die müh­sam auf­ge­bau­te Glaubwürdigkeit der letz­ten Jahrzehnte wur­de bin­nen weni­ger Monate zer­stört. Die abrup­ten Zinserhöhungen führ­ten zu schwe­ren Verwerfungen an den Finanzmärkten. Bankenkrisen in den USA (Silicon Valley Bank, First Republic Bank) demons­trier­ten die Fragilität eines auf nied­ri­ge Zinsen ange­wie­se­nen Systems. Auch in Europa gerie­ten Institute wie die Credit Suisse unter Druck.

Die aggres­si­ve Zinspolitik erhöh­te das Rezessionsrisiko erheb­lich. Viele Ökonomen pro­gnos­ti­zier­ten für 2023 einen deut­li­chen Konjunktureinbruch, der zwar aus­blieb, aber die Unsicherheit verstärkte.

Ausblick: Die Zukunft der Zentralbanken

Fundamentale Herausforderungen

Die Zentralbanken ste­hen vor einem Dilemma: Sie müs­sen gleich­zei­tig die Inflation bekämp­fen und die Finanzstabilität sichern. Diese bei­den Ziele kön­nen sich wider­spre­chen, ins­be­son­de­re wenn Zinserhöhungen sys­te­mi­sche Risiken aus­lö­sen. Die hohe Schuldenlast vie­ler Staaten begrenzt den Spielraum für eine nor­ma­le Zinspolitik erheb­lich. Italien bei­spiels­wei­se wür­de bei deut­lich höhe­ren Zinsen schnell in Finanzierungsprobleme gera­ten. Dies zwingt die EZB zu einem schwie­ri­gen Balanceakt zwi­schen Inflationsbekämpfung und Stabilität.

Die poli­ti­sche Unabhängigkeit der Zentralbanken gerät zuneh­mend unter Druck. Politiker for­dern nied­ri­ge­re Zinsen zur Konjunkturstützung, wäh­rend die Bevölkerung Massnahmen gegen die Inflation ver­langt. Diese wider­sprüch­li­chen Erwartungen erschwe­ren eine kon­sis­ten­te Politik.

Neue Instrumente und Paradigmen

Einige Zentralbanken expe­ri­men­tie­ren mit “grü­ner Geldpolitik” und berück­sich­ti­gen Klimarisiken in ihrer Strategie. Die EZB kauft bevor­zugt Anleihen von Unternehmen mit bes­se­rer Klimabilanz, wäh­rend die Bank of England Klimastress-Tests für Banken durchführt.

Digitale Zentralbankwährungen (CBDCs) könn­ten die Geldpolitik revo­lu­tio­nie­ren. Sie wür­den den Zentralbanken direk­te­ren Zugang zu den Bürgern ver­schaf­fen und neue Instrumente wie “Helikoptergeld” ermög­li­chen. Doch die Implementierung wirft schwie­ri­ge Fragen bezüg­lich Datenschutz und Finanzstabilität auf.

Rückkehr zur Normalität oder neue Ära?

Die ent­schei­den­de Frage lau­tet: Können die Zentralbanken zu einer “nor­ma­len” Geldpolitik zurück­keh­ren oder sind sie zu Dauerinterventionisten gewor­den? Die Erfahrungen der letz­ten Jahre deu­ten dar­auf hin, dass die Märkte ohne Unterstützung kaum mehr funk­ti­ons­fä­hig sind. Eine Normalisierung wür­de mas­si­ve Bewertungskorrekturen an den Finanzmärkten erfor­dern. Viele Geschäftsmodelle, die auf nied­ri­ge Zinsen ange­wie­sen sind, wür­den kol­la­bie­ren. Die gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Kosten einer sol­chen Bereinigung wären immens. Wahrscheinlicher ist daher eine neue Ära per­ma­nen­ter Interventionen mit gele­gent­li­chen Versuchen der Normalisierung. Die Zentralbanken wer­den zwi­schen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität lavie­ren müs­sen, ohne lang­fris­tig eines der bei­den Ziele nach­hal­tig zu erreichen.

Fazit

Die ver­gan­ge­nen 25 Jahre haben die Zentralbanken von Hütern der Preisstabilität zu akti­ven Marktinterventionisten ver­wan­delt. Was mit dem Greenspan Put als Notfallmassnahme begann, ent­wi­ckel­te sich zu einem dau­er­haf­ten System der Marktunterstützung.

Die FED, EZB und SNB haben zwei­fel­los Stabilität in Krisenzeiten geschaf­fen und grös­se­re Verwerfungen ver­hin­dert. Doch der Preis für die­se Politik wird immer deut­li­cher sicht­bar: Vermögenspreisinflation, Marktverzerrungen, sin­ken­der Reformdruck und eine gefähr­li­che Abhängigkeit der Märkte von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung.

Die Inflation der Jahre 2021–2023 war ein Weckruf, der die Grenzen die­ser Politik auf­zeig­te. Die ver­spä­te­te und dann umso aggres­si­ve­re Reaktion der Zentralbanken demons­trier­te, wie schwie­rig der Umgang mit den Nebenwirkungen ihrer eige­nen Politik gewor­den ist.

Die Zukunft wird zei­gen, ob die Zentralbanken den Weg zurück zu einer markt­kon­for­me­ren Politik fin­den oder ob sie zu per­ma­nen­ten Interventionisten wer­den. Die Erfahrungen der letz­ten Jahre las­sen ver­mu­ten, dass letz­te­res wahr­schein­li­cher ist. Die Märkte sind zu abhän­gig gewor­den, die Schuldenlasten zu hoch und die poli­ti­schen Kosten einer Normalisierung zu gross. Was als tem­po­rä­re Krisenbekämpfung gedacht war, ist zur neu­en Normalität gewor­den. Die Frage ist nicht mehr, ob die Zentralbanken inter­ve­nie­ren, son­dern nur noch wann und wie mas­siv. Diese Entwicklung unter­gräbt lang­fris­tig die Fundamente der Marktwirtschaft und schafft neue, noch grös­se­re Risiken für die Zukunft.

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