In mei­nem vor­he­ri­gen Beitrag habe ich den wirt­schaft­li­chen Wandel der letz­ten 40 Jahre beleuch­tet. Dabei kam her­aus, dass die­je­ni­gen, die ihr Geld auf dem Sparkonto las­sen, zu den Verlierern gehö­ren. Denn wäh­rend die Löhne sta­gnie­ren, sind die Kapitalerträge stark gestie­gen. Natürlich gibt es auch einen Haken: Der Kapitalertrag kann über einen gewis­sen Zeitraum hin­weg auch nega­tiv aus­fal­len. Seit 2008, aber auch schon frü­her, wur­den Investoren immer wie­der durch Interventionen der ein­zel­nen Zentralbanken vor Schlimmerem bewahrt. Ich bin immer wie­der erstaunt, wel­che Instrumente die Zentralbanken her­vor­zau­bern, um eine grös­se­re Krise abzu­wen­den oder in die Zukunft zu ver­schie­ben. Dies ist auch das Thema die­ses Beitrags. Natürlich haben die­se Interventionen erheb­li­che Nebenwirkungen, da oft­mals nur die Symptome behan­delt wer­den, wäh­rend die­je­ni­gen, die han­deln soll­ten, wei­ter­hin untä­tig bleiben.

Die ame­ri­ka­ni­sche Federal Reserve (FED), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) haben ihre Bilanzen in einem his­to­risch bei­spiel­lo­sen Ausmass aus­ge­wei­tet. Diese Entwicklung begann mit dem berühm­ten “Greenspan Put” nach dem Börsencrash von 1987 und erreich­te ihren vor­läu­fi­gen Höhepunkt wäh­rend der Corona-Pandemie. Doch der Preis für die­se Politik wird immer deut­li­cher: Vermögenspreisinflation, Marktverzerrungen und eine gefähr­li­che Abhängigkeit der Märkte von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung.

Der vor­lie­gen­de Beitrag ana­ly­siert die Entwicklung die­ser drei bedeu­ten­den Zentralbanken, ihre unter­schied­li­chen Motive und die lang­fris­ti­gen Konsequenzen ihrer Interventionspolitik. Dabei zeigt sich ein beun­ru­hi­gen­des Muster: Was als tem­po­rä­re Krisenbekämpfung begann, ist zu einer Dauereinrichtung gewor­den, die neue Risiken schafft und die Grundlagen des frei­en Marktes untergräbt.

Der Ursprung: Greenspan Put und der Beginn einer neuen Ära

Der Börsencrash von 1987 als Wendepunkt

Am 19. Oktober 1987 erleb­ten die Weltbörsen den gröss­ten Kurssturz seit der Weltwirtschaftskrise. Der Dow Jones Industrial Average ver­lor an einem ein­zi­gen Tag 22.6 Prozent sei­nes Wertes. In die­ser kri­ti­schen Situation griff die FED unter Alan Greenspan erst­mals mas­siv ein und signa­li­sier­te den Märkten, dass sie als Käufer letz­ter Instanz fun­gie­ren wer­de. Greenspan erklär­te damals: “Die Federal Reserve ist bereit, als Liquiditätsquelle zu die­nen, um die wirt­schaft­li­che und finan­zi­el­le Stabilität zu unter­stüt­zen.” Diese schein­bar harm­lo­se Aussage mar­kier­te den Beginn einer neu­en Ära in der Geldpolitik. Die Märkte inter­pre­tier­ten die­se Botschaft als impli­zi­te Versicherung gegen grös­se­re Verluste.

Die Geburt des “Greenspan Put”

Der Begriff “Greenspan Put” ent­stand in Anlehnung an Finanzoptionen. Eine Put-Option gewährt dem Inhaber das Recht, einen Vermögenswert zu einem fest­ge­leg­ten Preis zu ver­kau­fen und schützt somit vor Verlusten. Die FED über­nahm fak­tisch die­se Rolle für die gesam­ten Finanzmärkte. Diese impli­zi­te Versicherung hat­te weit­rei­chen­de Folgen: Investoren began­nen, höhe­re Risiken ein­zu­ge­hen, weil sie dar­auf ver­trau­ten, dass die Zentralbank im Krisenfall ein­grei­fen wür­de. Das Phänomen des “Moral Hazard” ent­stieg aus die­ser Politik – die Privatisierung von Gewinnen bei gleich­zei­ti­ger Sozialisierung von Verlusten.

Die Märkte gewöhn­ten sich an die­se Unterstützung und ent­wi­ckel­ten eine gefähr­li­che Abhängigkeit von zen­tral­bank­li­chen Interventionen. Jeder Kursrückgang wur­de zur Gelegenheit für wei­te­re Käufe, weil die Anleger auf das ret­ten­de Eingreifen der FED spekulierten.

Die globale Finanzkrise 2008: Zeitenwende in der Geldpolitik

Der Kollaps von Lehman Brothers als Katalysator

Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 erschüt­ter­te das glo­ba­le Finanzsystem in sei­nen Grundfesten. Binnen weni­ger Tage brach das Vertrauen zwi­schen den Banken zusam­men, Kreditmärkte trock­ne­ten aus und eine welt­wei­te Rezession wur­de unvermeidlich.

Die tra­di­tio­nel­le Geldpolitik stoss an ihre Grenzen. Die Leitzinsen waren bereits auf his­to­ri­sche Tiefststände gesenkt wor­den, doch die Märkte beru­hig­ten sich nicht. Die Zentralbanken muss­ten neue, unkon­ven­tio­nel­le Instrumente ent­wi­ckeln, um die Krise zu bewältigen.

Quantitative Easing als neues Paradigma

In die­ser aus­ser­ge­wöhn­li­chen Situation führ­ten die Zentralbanken das “Quantitative Easing” (QE) ein. Statt nur die kurz­fris­ti­gen Zinsen zu steu­ern, began­nen sie, mas­si­ve Mengen an Staatsanleihen und ande­ren Wertpapieren zu kau­fen. Das Ziel war es, die gesam­te Zinskurve zu beein­flus­sen und Liquidität direkt in die Märkte zu pum­pen. Diese Politik war ein Paradigmenwechsel von his­to­ri­scher Tragweite. Erstmals in der moder­nen Geschichte grif­fen Zentralbanken direkt in die Preisbildung lang­fris­ti­ger Anleihen ein und ver­zerr­ten damit fun­da­men­ta­le Marktmechanismen. Die inter­na­tio­na­le Koordination zwi­schen den gros­sen Zentralbanken ver­stärk­te die­se Effekte zusätz­lich. Synchrone Zinssenkungen und abge­stimm­te QE-Programme schu­fen eine glo­ba­le Liquiditätsschwemme, die alle Anlageklassen erfasste.

Die FED: Pionier der expansiven Geldpolitik

Die QE-Programme im Detail

Die ame­ri­ka­ni­sche Zentralbank star­te­te bereits im November 2008 ihr ers­tes Quantitative-Easing-Programm (QE1). Zwischen 2008 und 2014 folg­ten QE2, Operation Twist und QE3. Insgesamt kauf­te die FED Wertpapiere im Umfang von über 3.5 Billionen US-Dollar und erwei­ter­te ihre Bilanz von 900 Milliarden auf über 4.5 Billionen Dollar. QE1 kon­zen­trier­te sich auf den Kauf von Mortgage-Backed Securities, um den zusam­men­ge­bro­che­nen Hypothekenmarkt zu sta­bi­li­sie­ren. QE2 und QE3 ziel­ten pri­mär auf Staatsanleihen ab, um die gesam­te Zinskurve zu sen­ken und die Wirtschaft anzukurbeln.

Die Operation Twist war ein beson­ders raf­fi­nier­tes Programm: Die FED ver­kauf­te kurz­fris­ti­ge Staatsanleihen und kauf­te gleich­zei­tig lang­fris­ti­ge Papiere, um die Zinskurve zu “ver­dre­hen” und lang­fris­ti­ge Zinsen zu sen­ken, ohne die Bilanz wei­ter auszuweiten.

Erfolge und Nebenwirkungen der FED-Politik

Die expan­si­ve Geldpolitik der FED erziel­te durch­aus ihre beab­sich­tig­ten Effekte. Die ame­ri­ka­ni­sche Wirtschaft erhol­te sich schnel­ler als Europa von der Finanzkrise, die Arbeitslosigkeit sank kon­ti­nu­ier­lich und die Staatsfinanzierung wur­de erheb­lich erleich­tert. Doch die Nebenwirkungen waren beträcht­lich. Die nied­ri­gen Zinsen führ­ten zu einem bei­spiel­lo­sen Boom an den Aktien- und Immobilienmärkten. Der S&P 500 stieg von sei­nem Krisentief 2009 bis 2021 um über 600 Prozent. Parallel dazu ent­stan­den Zombie-Unternehmen, die nur dank der nied­ri­gen Zinsen über­le­ben konn­ten. Die Vermögensungleichheit ver­schärf­te sich dra­ma­tisch. Während Vermögensbesitzer von stei­gen­den Preisen pro­fi­tier­ten, blie­ben die Reallöhne der brei­ten Bevölkerung sta­g­nant. Das obers­te Prozent der ame­ri­ka­ni­schen Haushalte kon­trol­lier­te 2020 über 30 Prozent des gesam­ten Vermögens.

Der Ausstieg aus der expan­si­ven Politik erwies sich als äus­serst schwie­rig. Als die FED 2013 erst­mals andeu­te­te, ihre Anleihekäufe zu redu­zie­ren, führ­te dies zum “Taper Tantrum” – einem hef­ti­gen Ausverkauf an den Anleihemärkten, der die Zentralbank zum Rückzieher zwang.

Die EZB: Zwischen Schuldenkrise und politischer Balance

Besondere Herausforderungen der Eurozone

Die EZB steht vor der ein­zig­ar­ti­gen Aufgabe, eine Geldpolitik für 19 Länder mit unter­schied­li­chen Wirtschaftsstrukturen und Finanzlagen zu betrei­ben. Diese Komplexität wur­de wäh­rend der euro­päi­schen Schuldenkrise ab 2010 beson­ders deut­lich. Während Deutschland eine robus­te Wirtschaft und soli­de Staatsfinanzen auf­wies, kämpf­ten Griechenland, Italien, Spanien und Portugal mit hoher Verschuldung und schwa­chem Wachstum. Die ein­heit­li­che Währung ver­un­mög­lich­te Wechselkursanpassungen, die tra­di­tio­nell als Ventil für Ungleichgewichte gedient hatten.

Draghis “Whatever it takes” als Wendepunkt

Am 26. Juli 2012 sprach EZB-Präsident Mario Draghi die berühm­ten Worte: “Within our man­da­te, the ECB is rea­dy to do wha­te­ver it takes to pre­ser­ve the euro. And belie­ve me, it will be enough.” Diese Aussage stopp­te die Spekulationen gegen den Euro schlag­ar­tig und ret­te­te die Gemeinschaftswährung. Der Erfolg basier­te pri­mär auf der Glaubwürdigkeit der Ankündigung. Paradoxerweise muss­te die EZB zunächst gar nicht han­deln – die blos­se Zusage reich­te aus, um die Märkte zu beru­hi­gen. Dies demons­trier­te die enor­me Macht moder­ner Zentralbankkommunikation.

Die EZB-Programme im Überblick

Die EZB ent­wi­ckel­te eine Reihe unkon­ven­tio­nel­ler Instrumente. Das Outright Monetary Transactions (OMT) Programm erlaub­te den theo­re­tisch unbe­grenz­ten Kauf von Staatsanleihen kri­sen­ge­schüt­tel­ter Länder. Die Long-Term Refinancing Operations (LTRO) stell­ten den Banken lang­fris­ti­ge Liquidität zu güns­ti­gen Konditionen zur Verfügung.

Ab 2015 star­te­te die EZB ihr eige­nes QE-Programm, das Public Sector Purchase Programme (PSPP). Bis 2018 kauf­te sie Staatsanleihen im Umfang von 2.6 Billionen Euro. Während der Corona-Pandemie folg­te das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) mit einem Volumen von wei­te­ren 1.85 Billionen Euro.

Rechtliche Kontroversen und Mandatsüberschreitung

Die Staatsanleihekäufe der EZB waren recht­lich höchst umstrit­ten. Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ver­bie­tet expli­zit die mone­tä­re Finanzierung von Mitgliedstaaten. Die EZB argu­men­tier­te, dass ihre Käufe am Sekundärmarkt statt­fän­den und daher legal sei­en. Kritiker sahen dar­in jedoch eine Umgehung des Verbots. Das deut­sche Bundesverfassungsgericht äus­ser­te wie­der­holt Bedenken und droh­te sogar mit einem Ausstieg der Bundesbank aus den Programmen. Besonders das PSPP-Programm stand im Fokus der Kritik, da es nach Ansicht der Karlsruher Richter unver­hält­nis­mäs­sig war und das Mandat der EZB über­schritt. Der Europäische Gerichtshof wider­sprach die­ser Einschätzung zwar, doch die recht­li­chen Zweifel blie­ben bestehen. Die EZB beweg­te sich fak­tisch in einer Grauzone zwi­schen Geldpolitik und Fiskalpolitik.

Diese Programme sta­bi­li­sier­ten zwar die Eurozone, schu­fen aber auch neue Probleme. Die nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten den Reformdruck in hoch­ver­schul­de­ten Ländern. Italien bei­spiels­wei­se nutz­te die güns­ti­gen Finanzierungsbedingungen nicht für Strukturreformen, son­dern zur Aufrechterhaltung des Status quo. Die poli­ti­schen Spannungen zwi­schen den nörd­li­chen und süd­li­chen Euroländern ver­schärf­ten sich. Deutsche Sparer kri­ti­sier­ten die “Enteignung” durch Negativzinsen, wäh­rend süd­eu­ro­päi­sche Länder von der locke­ren Geldpolitik profitierten.

Die SNB: Kleiner Player mit grossem Balance Sheet

Die Schweiz als sicherer Hafen

Die Schweiz geniesst tra­di­tio­nell den Status eines siche­ren Hafens in tur­bu­len­ten Zeiten. Diese Eigenschaft ver­stärk­te sich wäh­rend der Finanzkrisen der letz­ten Jahre erheb­lich. Internationale Investoren flüch­te­ten mas­sen­haft in Schweizer Franken, was einen enor­men Aufwertungsdruck auf die Währung aus­üb­te. Für eine export­ori­en­tier­te Volkswirtschaft wie die Schweiz stell­te dies eine exis­ten­zi­el­le Bedrohung dar. Ein über­be­wer­te­ter Franken hät­te die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen mas­siv beein­träch­tigt und die Wirtschaft in eine Deflationsspirale stür­zen können.

Der Mindestkurs als radikales Experiment

Am 6. September 2011 ver­kün­de­te die SNB eine bei­spiel­lo­se Massnahme: Sie führ­te einen Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro ein und ver­sprach, die­sen “mit aller Entschlossenheit” zu ver­tei­di­gen. Diese Ankündigung kam einem Paradigmenwechsel gleich – erst­mals in ihrer Geschichte gab die SNB ein expli­zi­tes Wechselkursziel aus. Die Verteidigung des Mindestkurses erfor­der­te mas­si­ve Deviseninterventionen. Zwischen 2011 und 2015 kauf­te die SNB Euro im Umfang von über 500 Milliarden Franken. Ihre Bilanz schwoll von 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts auf über 80 Prozent an.

Am 15. Januar 2015 kapi­tu­lier­te die SNB über­ra­schend und hob den Mindestkurs auf. Der Franken schoss inner­halb von Minuten um über 30 Prozent in die Höhe. Viele Devisenhändler und auch Privatanleger erlit­ten mas­si­ve Verluste. Diese Episode demons­trier­te die Grenzen selbst der mäch­tigs­ten Zentralbanken gegen Marktdruck.

Die SNB als globaler Investor

Die Deviseninterventionen ver­wan­del­ten die SNB in einen der gröss­ten insti­tu­tio­nel­len Investoren der Welt. Mit Währungsreserven von über 900 Milliarden Franken (Stand 2023) über­trifft sie sogar man­che Staatsfonds. Ein beträcht­li­cher Teil die­ser Reserven ist in Aktien ange­legt. Die SNB hält bedeu­ten­de Beteiligungen an ame­ri­ka­ni­schen Technologiekonzernen wie Apple, Microsoft und Google. Diese Konstellation führt zu bizar­ren Situationen: Die Schweizer Zentralbank pro­fi­tiert von stei­gen­den Tech-Aktien, wäh­rend sie gleich­zei­tig für Preisstabilität sor­gen soll.

Die rie­si­ge Bilanz macht die SNB extrem anfäl­lig für Wechselkursschwankungen. Wertet der Franken gegen­über den Anlagewährungen auf, ent­ste­hen mas­si­ve Buchverluste. 2022 ver­buch­te die SNB einen Verlust von 132 Milliarden Franken – den gröss­ten in ihrer Geschichte. Die expan­si­ve Geldpolitik trug auch zum Immobilienboom in der Schweiz bei. Die Hypothekarzinsen san­ken auf his­to­ri­sche Tiefststände, was die Nachfrage nach Wohneigentum anheiz­te. Die Immobilienpreise stie­gen zwi­schen 2009 und 2022 um über 60 Prozent.

Gemeinsame Muster und fundamentale Unterschiede

Einheitliche Trends in der Zentralbankpolitik

Trotz unter­schied­li­cher insti­tu­tio­nel­ler Rahmenbedingungen zei­gen alle drei Zentralbanken bemer­kens­wer­te Gemeinsamkeiten in ihrer Entwicklung. Die Bilanzausweitung war über­all dra­ma­tisch: Die FED ver­grös­ser­te ihre Bilanz um das Neunfache, die EZB um das Sechsfache und die SNB sogar um das Zwölffache.

Alle erreich­ten die Zinsuntergrenze und expe­ri­men­tier­ten mit Negativzinsen. Die direk­ten Marktinterventionen wur­den zur Normalität, obwohl sie ursprüng­lich als Notfallmassnahmen kon­zi­piert waren. Die Kommunikationspolitik ent­wi­ckel­te sich zu einem eigen­stän­di­gen geld­po­li­ti­schen Instrument.

Unterschiedliche Motive und Strategien

Trotz ähn­li­cher Instrumente ver­folg­ten die drei Zentralbanken unter­schied­li­che Ziele. Die FED kon­zen­trier­te sich pri­mär auf die Konjunkturstützung und die Beeinflussung der Zinsstruktur. Ihre Dual-Mandate-Strategie erlaub­te eine fle­xi­ble­re Politik als das rei­ne Inflationsziel ande­rer Notenbanken.

Die EZB kämpf­te vor­ran­gig um das Überleben der Gemeinschaftswährung. Ihre Politik ziel­te dar­auf ab, Fragmentierungsrisiken zu redu­zie­ren und die Transmission geld­po­li­ti­scher Impulse in alle Mitgliedsländer sicher­zu­stel­len. Die indi­rek­te Staatsfinanzierung wur­de dabei not­ge­drun­gen in Kauf genommen.

Die SNB ver­folg­te ein klar defi­nier­tes Wechselkursziel, um die Schweizer Wirtschaft vor defla­tio­nä­ren Kräften zu schüt­zen. Ihre Politik war pri­mär defen­siv aus­ge­rich­tet und reagier­te auf exter­ne Schocks.

Grössenordnungen im Vergleich

Die rela­ti­ven Ausmasse der Bilanzerweiterungen unter­schie­den sich erheb­lich. Während die FED-Bilanz 2023 etwa 30 Prozent des ame­ri­ka­ni­schen BIP umfass­te, erreich­te die EZB-Bilanz rund 60 Prozent der Eurozone-Wirtschaftsleistung. Die SNB über­traf bei­de mit über 100 Prozent des Schweizer BIP.

Notenbankbbilanz in % des BIP (2023-2025)

Diese Unterschiede spie­geln die ver­schie­de­nen Herausforderungen wider: Die SNB muss­te gegen den Aufwertungsdruck einer klei­nen, offe­nen Volkswirtschaft kämp­fen. Die EZB benö­tig­te mas­si­ve Interventionen, um die frag­men­tier­te Eurozone zu sta­bi­li­sie­ren. Die FED konn­te auf­grund der Reservewährungsstellung des Dollars mode­ra­ter agieren.

Nebenwirkungen und unbeabsichtigte Folgen

Der permanente “Zentralbank-Put”

Was ursprüng­lich als Notfallmassnahme gedacht war, ent­wi­ckel­te sich zu einer Dauereinrichtung. Die Märkte gewöhn­ten sich an die Unterstützung und preis­ten sie in ihre Kalkulationen ein. Jeder grös­se­re Kursrückgang führ­te zu Spekulationen über neue Interventionen.

Diese Erwartungshaltung ver­än­der­te das Verhalten der Marktteilnehmer fun­da­men­tal. Risikobewertungen wur­den ver­nach­läs­sigt, weil das Verlustrisiko als begrenzt wahr­ge­nom­men wur­de. Investoren ent­wi­ckel­ten eine “Buy-the-Dip”-Mentalität, die auf dem Vertrauen in zen­tral­bank­li­che Unterstützung basierte.

Vermögenspreisinflation als ungewollte Konsequenz

Die expan­si­ve Geldpolitik führ­te zu einer bei­spiel­lo­sen Vermögenspreisinflation. Aktien, Immobilien und Anleihen stie­gen glei­cher­mas­sen und erreich­ten his­to­ri­sche Bewertungsniveaus. Diese Entwicklung war nicht geplant, aber unver­meid­lich, da die über­schüs­si­ge Liquidität irgend­wo inves­tiert wer­den muss­te. Die Vermögenspreisinflation ver­schärf­te die gesell­schaft­li­che Ungleichheit dra­ma­tisch. Vermögensbesitzer pro­fi­tier­ten über­pro­por­tio­nal, wäh­rend Menschen ohne Kapitaleinkommen leer aus­gin­gen. In den USA besass 2023 das obers­te Prozent der Haushalte mehr Vermögen als die unte­ren 50 Prozent zusammen.

Sinkender Reformdruck und politische Verzerrungen

Die nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten den Reformdruck für hoch­ver­schul­de­te Staaten erheb­lich. Länder wie Italien konn­ten sich trotz struk­tu­rel­ler Probleme güns­tig refi­nan­zie­ren und ver­scho­ben not­wen­di­ge Reformen auf unbe­stimm­te Zeit. Diese Entwicklung unter­gräbt lang­fris­tig die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft. Ineffiziente Strukturen wer­den künst­lich am Leben erhal­ten, statt durch pro­duk­ti­ve­re Alternativen ersetzt zu wer­den. Das Phänomen der Zombie-Unternehmen brei­te­te sich aus – Firmen, die nur dank nied­ri­ger Zinsen über­le­ben können.

Gefährliche Abhängigkeiten

Die Märkte ent­wi­ckel­ten eine bedenk­li­che Abhängigkeit von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung. Jede Andeutung einer Politikänderung führ­te zu hef­ti­gen Reaktionen. Der “Taper Tantrum” von 2013, die Marktturbulenzen Ende 2018 und die Verwerfungen wäh­rend der ers­ten Zinserhöhungen 2022 demons­trier­ten die­se Fragilität. Diese Abhängigkeit schränkt den Handlungsspielraum der Zentralbanken ein. Sie wer­den zu Gefangenen ihrer eige­nen Politik und kön­nen nicht mehr glaub­wür­dig mit einer Normalisierung dro­hen, ohne schwe­re Marktturbulenzen zu riskieren.

Die Inflation nach 2020: Mitschuld der Zentralbanken?

Inflation von 2003 - 2005

Komplexe Ursachenanalyse

Die Inflation, die ab 2021 in den ent­wi­ckel­ten Volkswirtschaften auf­trat, hat­te mul­ti­ple Ursachen. Die Corona-Pandemie stör­te glo­ba­le Lieferketten mas­siv und führ­te zu Engpässen bei wich­ti­gen Rohstoffen und Vorprodukten. Der Krieg in der Ukraine ver­stärk­te die­se Probleme, ins­be­son­de­re bei Energie und Nahrungsmitteln. Politische Faktoren spiel­ten eben­falls eine wich­ti­ge Rolle. Massive Fiskalpakete pump­ten Kaufkraft in die Wirtschaft, wäh­rend das Angebot pan­de­mie­be­dingt redu­ziert war. Diese Nachfrage-Angebot-Schere trieb die Preise nach oben.

Doch die mone­tä­ren Faktoren dür­fen nicht igno­riert wer­den. Jahrzehntelange Liquiditätsexpansion hat­te die Grundlage für infla­tio­nä­re Entwicklungen geschaf­fen. Die ultra-nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten die Sparneigung und för­der­ten den Konsum. Zudem führ­ten sie zu Fehlinvestitionen in unpro­duk­ti­ve Bereiche.

Versäumnisse in der Geldpolitik

Die Zentralbanken unter­schätz­ten die Inflationsgefahr und hiel­ten zu lan­ge an ihrer “Lower for Longer”-Strategie fest. Noch 2021 bezeich­ne­ten FED-Chef Jerome Powell und EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Inflation als “vor­über­ge­hend” und “tran­si­to­risch”. Diese Fehleinschätzung hat­te schwer­wie­gen­de Folgen. Als die Inflation sich als hart­nä­cki­ger erwies als erwar­tet, muss­ten die Zentralbanken abrupt ihre Politik ändern. Die FED hob die Zinsen zwi­schen 2022 und 2023 um 525 Basispunkte an – eine der aggres­sivs­ten Zinszyklen der Geschichte.

Leitzinsen von 2003 - 2005

Die EZB hink­te deut­lich hin­ter­her und begann erst im Juli 2022 mit Zinserhöhungen, obwohl die Inflation bereits zwei­stel­li­ge Werte erreicht hat­te. Diese Verzögerung ver­stärk­te die infla­tio­nä­ren Erwartungen und erschwer­te die spä­te­re Bekämpfung.

Folgen der verspäteten Reaktion

Der Vertrauensverlust in die Inflationsbekämpfung war beträcht­lich. Umfragen zeig­ten, dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Kompetenz der Zentralbanken ver­lo­ren hat­te. Die müh­sam auf­ge­bau­te Glaubwürdigkeit der letz­ten Jahrzehnte wur­de bin­nen weni­ger Monate zer­stört. Die abrup­ten Zinserhöhungen führ­ten zu schwe­ren Verwerfungen an den Finanzmärkten. Bankenkrisen in den USA (Silicon Valley Bank, First Republic Bank) demons­trier­ten die Fragilität eines auf nied­ri­ge Zinsen ange­wie­se­nen Systems. Auch in Europa gerie­ten Institute wie die Credit Suisse unter Druck.

Die aggres­si­ve Zinspolitik erhöh­te das Rezessionsrisiko erheb­lich. Viele Ökonomen pro­gnos­ti­zier­ten für 2023 einen deut­li­chen Konjunktureinbruch, der zwar aus­blieb, aber die Unsicherheit verstärkte.

Ausblick: Die Zukunft der Zentralbanken

Fundamentale Herausforderungen

Die Zentralbanken ste­hen vor einem Dilemma: Sie müs­sen gleich­zei­tig die Inflation bekämp­fen und die Finanzstabilität sichern. Diese bei­den Ziele kön­nen sich wider­spre­chen, ins­be­son­de­re wenn Zinserhöhungen sys­te­mi­sche Risiken aus­lö­sen. Die hohe Schuldenlast vie­ler Staaten begrenzt den Spielraum für eine nor­ma­le Zinspolitik erheb­lich. Italien bei­spiels­wei­se wür­de bei deut­lich höhe­ren Zinsen schnell in Finanzierungsprobleme gera­ten. Dies zwingt die EZB zu einem schwie­ri­gen Balanceakt zwi­schen Inflationsbekämpfung und Stabilität.

Die poli­ti­sche Unabhängigkeit der Zentralbanken gerät zuneh­mend unter Druck. Politiker for­dern nied­ri­ge­re Zinsen zur Konjunkturstützung, wäh­rend die Bevölkerung Massnahmen gegen die Inflation ver­langt. Diese wider­sprüch­li­chen Erwartungen erschwe­ren eine kon­sis­ten­te Politik.

Neue Instrumente und Paradigmen

Einige Zentralbanken expe­ri­men­tie­ren mit “grü­ner Geldpolitik” und berück­sich­ti­gen Klimarisiken in ihrer Strategie. Die EZB kauft bevor­zugt Anleihen von Unternehmen mit bes­se­rer Klimabilanz, wäh­rend die Bank of England Klimastress-Tests für Banken durchführt.

Digitale Zentralbankwährungen (CBDCs) könn­ten die Geldpolitik revo­lu­tio­nie­ren. Sie wür­den den Zentralbanken direk­te­ren Zugang zu den Bürgern ver­schaf­fen und neue Instrumente wie “Helikoptergeld” ermög­li­chen. Doch die Implementierung wirft schwie­ri­ge Fragen bezüg­lich Datenschutz und Finanzstabilität auf.

Rückkehr zur Normalität oder neue Ära?

Die ent­schei­den­de Frage lau­tet: Können die Zentralbanken zu einer “nor­ma­len” Geldpolitik zurück­keh­ren oder sind sie zu Dauerinterventionisten gewor­den? Die Erfahrungen der letz­ten Jahre deu­ten dar­auf hin, dass die Märkte ohne Unterstützung kaum mehr funk­ti­ons­fä­hig sind. Eine Normalisierung wür­de mas­si­ve Bewertungskorrekturen an den Finanzmärkten erfor­dern. Viele Geschäftsmodelle, die auf nied­ri­ge Zinsen ange­wie­sen sind, wür­den kol­la­bie­ren. Die gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Kosten einer sol­chen Bereinigung wären immens. Wahrscheinlicher ist daher eine neue Ära per­ma­nen­ter Interventionen mit gele­gent­li­chen Versuchen der Normalisierung. Die Zentralbanken wer­den zwi­schen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität lavie­ren müs­sen, ohne lang­fris­tig eines der bei­den Ziele nach­hal­tig zu erreichen.

Fazit

Die ver­gan­ge­nen 25 Jahre haben die Zentralbanken von Hütern der Preisstabilität zu akti­ven Marktinterventionisten ver­wan­delt. Was mit dem Greenspan Put als Notfallmassnahme begann, ent­wi­ckel­te sich zu einem dau­er­haf­ten System der Marktunterstützung.

Die FED, EZB und SNB haben zwei­fel­los Stabilität in Krisenzeiten geschaf­fen und grös­se­re Verwerfungen ver­hin­dert. Doch der Preis für die­se Politik wird immer deut­li­cher sicht­bar: Vermögenspreisinflation, Marktverzerrungen, sin­ken­der Reformdruck und eine gefähr­li­che Abhängigkeit der Märkte von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung.

Die Inflation der Jahre 2021–2023 war ein Weckruf, der die Grenzen die­ser Politik auf­zeig­te. Die ver­spä­te­te und dann umso aggres­si­ve­re Reaktion der Zentralbanken demons­trier­te, wie schwie­rig der Umgang mit den Nebenwirkungen ihrer eige­nen Politik gewor­den ist.

Die Zukunft wird zei­gen, ob die Zentralbanken den Weg zurück zu einer markt­kon­for­me­ren Politik fin­den oder ob sie zu per­ma­nen­ten Interventionisten wer­den. Die Erfahrungen der letz­ten Jahre las­sen ver­mu­ten, dass letz­te­res wahr­schein­li­cher ist. Die Märkte sind zu abhän­gig gewor­den, die Schuldenlasten zu hoch und die poli­ti­schen Kosten einer Normalisierung zu gross. Was als tem­po­rä­re Krisenbekämpfung gedacht war, ist zur neu­en Normalität gewor­den. Die Frage ist nicht mehr, ob die Zentralbanken inter­ve­nie­ren, son­dern nur noch wann und wie mas­siv. Diese Entwicklung unter­gräbt lang­fris­tig die Fundamente der Marktwirtschaft und schafft neue, noch grös­se­re Risiken für die Zukunft.

Jeder in der Schweiz gebo­re­ne, der wie ich schon 55 Jahre und mehr auf dem Pukel trägt, erin­nert sich an eine Zeit, als die Wirtschaft noch nach ande­ren Gesetzmässigkeiten funk­tio­nier­te. Der Briefträger hat­te Zeit für einen Schwatz, an jeder Ecke stand ein Kiosk, und wenn man Rechnungen bezah­len woll­te, ging man zum Bank- oder Postschalter. Dort war­te­te ein Angestellter, der einem half. Ein ein­zi­ges Einkommen reich­te aus, um eine Familie zu ernäh­ren und sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.

Heute, im Jahr 2025, fra­ge ich mich oft: Was ist mit die­ser Welt gesche­hen? Wir arbei­ten heu­te nicht viel weni­ger Stunden als damals, trotz­dem scheint es für einen Arbeiter viel schwie­ri­ger gewor­den zu sein, sich ein Haus als Eigentum zu erwer­ben. Der tech­ni­sche Fortschritt war gigan­tisch – seit 1984 erober­ten Computer lang­sam die Firmen, spä­ter das Internet, dann Smartphones und heu­te spre­chen alle von künst­li­cher Intelligenz. Trotzdem oder gera­de des­we­gen stellt sich die Frage: Welche Bevölkerungsschicht hat in den letz­ten 40 Jahren von die­sem tech­ni­schen Fortschritt wirt­schaft­lich profitiert?

Die Schweiz meiner Jugend (1960er-1980er)

Als ein Lohn noch reichte

In den 1960er und 1970er Jahren war die Schweiz ein ande­res Land. Meine Kindheit war geprägt von einer Wirtschaft, in der ein Familienernährer aus­reich­te. Die Frauen waren deut­lich weni­ger in bezahl­ten Berufen tätig, was heu­te ger­ne als rück­stän­dig bezeich­net wird, aber einen ent­schei­den­den Effekt hat­te: Das ver­füg­ba­re Arbeitskräfteangebot war klei­ner, die Löhne ent­spre­chend höher.

Ein Durchschnittsverdiener konn­te damals tat­säch­lich davon träu­men, ein Haus zu kau­fen. Die Immobilienpreise stan­den in einem ver­nünf­ti­gen Verhältnis zu den Löhnen. In den frü­hen 1980er Jahren kos­te­te ein durch­schnitt­li­ches Einfamilienhaus in der Schweiz etwa das Vier- bis Fünffache eines Jahresgehalts eines Facharbeiters. Bei einem Jahreseinkommen von 40’000 Franken kos­te­te ein Haus rund 180’000 Franken. Mit Eigenkapital von 20 Prozent und einer Hypothek war ein Hauskauf für nor­ma­le Arbeitnehmerfamilien durch­aus machbar.

Die Welt der persönlichen Dienstleistungen

Der Briefträger kann­te jeden in der Nachbarschaft und hat­te Zeit für ein Gespräch. An jeder Strassenecke gab es einen Kiosk, oft geführt von einer Familie, die dort ihr Auskommen fand. Diese klei­nen Geschäfte waren mehr als nur Verkaufsstellen – sie waren sozia­le Treffpunkte der Quartiere.

Bei der Bank oder Post war­te­te ech­tes Personal. Wenn man Rechnungen bezah­len woll­te, ging man zum Schalter, füll­te einen Einzahlungsschein aus, und ein Angestellter erle­dig­te den Rest. An der Tankstelle bedien­te ein Angestellter die Pumpe, im Supermarkt scann­ten Kassiererinnen alle Waren. Diese Dienstleistungen waren selbst­ver­ständ­lich und kos­te­ten nichts extra.

Bescheidener Luxus und lokale Ferien

Luxus war damals noch beschei­den und über­schau­bar: ein teu­re­res Auto, ein grös­se­res Haus, viel­leicht eine klei­ne Segelyacht. Die Möglichkeiten, Geld aus­zu­ge­ben, waren begrenzt. Es gab schlicht nicht das brei­te Angebot an Luxusgütern, das heu­te existiert.

Die Ferien waren noch beschei­den und lokal geprägt. Das Auto brach­te die Familie ins Tessin, nach Österreich oder an die fran­zö­si­sche Mittelmeerküste. Eine zwei­wö­chi­ge Fahrt mit dem VW Käfer oder Opel Kadett nach Italien war der Höhepunkt des Jahres. Übernachtet wur­de im Zelt oder in ein­fa­chen Pensionen.

Die Freizeitgestaltung war weni­ger kom­mer­zia­li­siert: Sonntagsausflüge in die nahen Berge, Spaziergänge, Besuche bei Verwandten. Sport bedeu­te­te den ört­li­chen Fussballclub oder Turnverein, nicht das teu­re Fitness-Studio mit Personal Trainer.

Das Familienbudget der 1980er Jahre

1980 gaben Schweizer Haushalte noch einen gros­sen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus – etwa 15 bis 20 Prozent. Die Wohnkosten belie­fen sich auf rund 20 Prozent des Budgets. Gesundheitskosten waren mar­gi­nal, da die Krankenkassenprämien deut­lich tie­fer lagen und vie­le teu­re medi­zi­ni­sche Behandlungen noch nicht existierten.

Familien leb­ten auf etwa 34 Quadratmetern pro Person und in Haushalten mit durch­schnitt­lich 2.8 Personen. Die Fixkosten waren über­schau­bar, ein gros­ser Teil des Einkommens blieb für Sparen und gele­gent­li­che Anschaffungen übrig.

Die Schweiz von heute (2025)

Der Doppelverdiener-Zwang

Parallel zum Produktivitätswachstum eta­blier­te sich ein neu­es Familienmodell: der Doppelverdiener-Haushalt. Frauen dräng­ten mas­siv in den Arbeitsmarkt, was gesell­schaft­lich als Fortschritt gefei­ert wur­de. Aus öko­no­mi­scher Sicht hat­te die­se Entwicklung jedoch eine Kehrseite: Das Arbeitskräfteangebot ver­dop­pel­te sich prak­tisch, was den Lohndruck verstärkte.

Was als Emanzipation begann, wur­de zur Notwendigkeit. Heute müs­sen in den meis­ten Familien bei­de Partner arbei­ten, um den­sel­ben Lebensstandard zu errei­chen, den frü­her ein Einkommen ermög­lich­te. Der ver­meint­li­che Fortschritt ent­pupp­te sich als Hamsterrad: Mehr Arbeit für das glei­che Ergebnis.

Eigenheim als Luxusgut

Heute kos­tet das­sel­be Haus in ver­gleich­ba­rer Lage oft das Zehn- bis Fünfzehnfache eines Jahresgehalts. Bei einem durch­schnitt­li­chen Facharbeiterlohn von 70’000 Franken müss­te man für ein Haus mit 900’000 Franken rech­nen – und das wäre noch güns­tig. In belieb­ten Regionen sind Preise von über einer Million Franken die Regel.

Ein Facharbeiter kann heu­te mit sei­nem Jahreslohn nur noch etwa 7 Prozent eines durch­schnitt­li­chen Einfamilienhauses finan­zie­ren, wäh­rend es 1980 noch 25 Prozent waren. Wohneigentum ist für nor­ma­le Arbeitnehmerfamilien prak­tisch uner­reich­bar geworden.

Die Selbstbedienungs-Gesellschaft

Heute tippt der Kunde selbst sei­ne Daten ins Online-Banking. An der Tankstelle macht jeder Autofahrer die Bedienung selbst. Im Supermarkt gibt es Selbstbedienungskassen. Die Briefträger wir­ken gehetzt, het­zen von Haus zu Haus und haben kaum Zeit für mensch­li­che Kontakte.

Die Unternehmen ver­kau­fen die­se Entwicklung als Fortschritt: “Mehr Flexibilität für den Kunden”, “Rund um die Uhr ver­füg­bar”, “Keine Wartezeiten”. In Wirklichkeit han­delt es sich um eine gigan­ti­sche Kostenverlagerung. Die Arbeit wird nicht ein­ge­spart, son­dern gra­tis an die Kunden aus­ge­la­gert. Die ein­ge­spar­ten Lohnkosten flos­sen nicht in nied­ri­ge­re Preise, son­dern in höhe­re Gewinne.

Luxusindustrie für die einen, Kostenfalle für die anderen

Für Superreiche gibt es heu­te ein völ­lig neu­es Universum des Luxus. Megayachten kos­ten nicht mehr eine Million, son­dern 500 Millionen Franken. Privatjets wer­den zu flie­gen­den Palästen umge­baut. Häuser wer­den zu 100-Millionen-Anwesen mit 20 Schlafzimmern, Helikopter-Landeplätzen und unter­ir­di­schen Garagenstädten.

Diese Luxusindustrie schafft künst­lich immer neue Bedürfnisse für die Reichen. Plötzlich reicht die 50-Meter-Yacht nicht mehr, man braucht eine 100-Meter-Yacht. Jeff Bezos baut sich eine Yacht für 500 Millionen Dollar, also muss Elon Musk eine für 600 Millionen bau­en. Dieser Luxuswettbewerb erklärt, war­um die Gier nach immer höhe­ren Kapitalrenditen nie aufhört.

Die neuen Kostenfallen des Alltags

Heute ver­schlingt allein das Wohnen oft 30 bis 40 Prozent des Haushaltsbudgets. Die Krankenkassenprämien fres­sen wei­te­re 10 bis 15 Prozent. Hinzu kom­men neue Kostenkategorien, die 1980 noch nicht exis­tier­ten: Handy-Abos, Internet, Streaming-Dienste, Software-Lizenzen.

Besonders per­fi­de ist der Wandel vom Eigentum zum Abonnement. Früher kauf­te man eine Schreibmaschine und nutz­te sie jahr­zehn­te­lang. Heute mie­tet man Software monat­lich. Früher kauf­te man Schallplatten, heu­te abon­niert man Musik-Streaming. Diese Abo-Modelle gene­rie­ren kon­ti­nu­ier­li­che Einnahmen für die Unternehmen, belas­ten aber die Haushaltsbudgets permanent.

Ein wei­te­rer Kostentreiber ist die dra­ma­ti­sche Veränderung der Haushaltsstrukturen. 1980 leb­ten in der Schweiz durch­schnitt­lich 2.8 Personen pro Haushalt, heu­te sind es nur noch etwa 2.2 Personen. Gleichzeitig explo­dier­te die Zahl der Singlehaushalte. Alleine zu leben ist ein teu­rer Luxus, da die Fixkosten für Miete, Heizung und Strom von einer Person allein getra­gen wer­den müssen.

Parallel dazu stieg die durch­schnitt­li­che Wohnfläche pro Person mas­siv an. Lebte 1980 ein Schweizer auf etwa 34 Quadratmetern, sind es heu­te über 50 Quadratmeter. Mehr Platz bedeu­tet höhe­re Miet- oder Eigentumskosten, höhe­re Heizkosten und mehr Möbelbedarf.

Gesundheitskosten und das teure Geschenk der Langlebigkeit

Ein beson­ders dras­ti­sches Beispiel ist das Gesundheitswesen. Die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit stie­gen in der Schweiz seit 1980 infla­ti­ons­be­rei­nigt um über 300 Prozent. Die gestie­ge­ne Lebenserwartung wird oft als rei­ner Gewinn gefei­ert, doch sie hat auch mas­si­ve Kostenfolgen. 1980 betrug die Lebenserwartung in der Schweiz etwa 73 Jahre, heu­te liegt sie bei über 83 Jahren – zehn zusätz­li­che Lebensjahre.

Diese zehn Jahre sind jedoch nicht ein­fach zehn gesun­de Jahre mehr. Oft sind es Jahre mit chro­ni­schen Krankheiten, Pflegebedürftigkeit und inten­si­ver medi­zi­ni­scher Betreuung. Die teu­ers­ten Jahre im Leben eines Menschen sind typi­scher­wei­se die letz­ten bei­den – und davon gibt es heu­te deut­lich mehr.

Fernreisen als neue Normalität

Heute sind Flugreisen zur Normalität gewor­den. Wochenendtrips nach Barcelona, Skiferien in Kanada, Badeferien auf den Malediven – die geo­gra­fi­schen Horizonte haben sich dra­ma­tisch erwei­tert. Parallel dazu explo­dier­te das kom­mer­zi­el­le Freizeitangebot. Fitness-Studios, Wellness-Zentren, Adventure Parks, Konzerte, Festivals – für jede Minute der Freizeit gibt es heu­te kos­ten­pflich­ti­ge Angebote.

Die Ausgaben für Ferien und Freizeit stie­gen über­pro­por­tio­nal zum Einkommen. Während eine Familie 1980 viel­leicht 5 Prozent ihres Jahresbudgets für Ferien aus­gab, sind heu­te 10 bis 15 Prozent nor­mal. Diese Entwicklung offen­bart ein Paradox: Obwohl die Menschen kla­gen, weni­ger Geld zu haben, geben sie gleich­zei­tig mehr für Freizeit aus als je zuvor.

Warum sich alles verändert hat – Die Ursachen

Die Shareholder-Revolution der 1980er Jahre

Ein ent­schei­den­der Wendepunkt war die Durchsetzung des Shareholder-Value-Prinzips in den 1980er Jahren. Davor ori­en­tier­ten sich Unternehmen am Stakeholder-Modell: Sie berück­sich­tig­ten die Interessen aller Beteiligten – Aktionäre, Angestellte, Kunden und die Gesellschaft.

Mit dem Aufkommen neo­li­be­ra­ler Wirtschaftstheorien setz­te sich die Idee durch, Unternehmen hät­ten pri­mär den Aktionärswert zu maxi­mie­ren. Diese Philosophie, impor­tiert aus den USA, revo­lu­tio­nier­te die Schweizer Wirtschaft grund­le­gend. Plötzlich stan­den nicht mehr lang­fris­ti­ge Unternehmensziele im Vordergrund, son­dern kurz­fris­ti­ge Gewinnmaximierung.

Aktienrückkäufe statt Lohnerhöhungen

Die Folgen waren dra­ma­tisch. Statt Gewinne in höhe­re Löhne, bes­se­re Arbeitsbedingungen oder Forschung zu inves­tie­ren, schüt­te­ten Unternehmen immer grös­se­re Summen an ihre Aktionäre aus. Ein beson­ders per­fi­des Instrument wur­den Aktienrückkäufe: Unternehmen kauf­ten eige­ne Aktien zurück, um deren Kurs zu stüt­zen und die Rendite je Aktie künst­lich zu erhöhen.

Schweizer Grosskonzerne wie Nestlé, Novartis oder die UBS gaben in den letz­ten zwei Jahrzehnten Dutzende von Milliarden für Aktienrückkäufe aus – Geld, das theo­re­tisch für Lohnerhöhungen ver­füg­bar gewe­sen wäre. Allein Nestlé schüt­te­te seit 2000 über 100 Milliarden Franken an die Aktionäre aus, wäh­rend die Löhne der Angestellten real stagnierten.

Diese Entwicklung war kein Naturgesetz, son­dern das Resultat bewuss­ter Entscheidungen. Gewerkschaften wur­den geschwächt, Tarifverhandlungen unter­gra­ben, Arbeitsplätze ins Ausland ver­la­gert. Gleichzeitig explo­dier­ten die Managergehälter: Verdiente ein CEO 1980 etwa das 20-fache eines Durchschnittsarbeiters, sind es heu­te oft das 200-fache.

Die grosse Produktivitäts-Lohn-Schere

Betrachtet man die Entwicklung der letz­ten vier Jahrzehnte nüch­tern, wird ein fun­da­men­ta­ler Bruch sicht­bar. Die Arbeitszeit hat sich kaum ver­än­dert – ein Vollzeitbeschäftigter arbei­tet heu­te etwa gleich vie­le Stunden wie 1980. Die Produktivität ist jedoch explodiert.

Ein Arbeiter pro­du­ziert heu­te dank Computer, auto­ma­ti­sier­ten Maschinen und opti­mier­ten Prozessen ein Vielfaches des­sen, was sein Kollege 1980 schaff­te. Doch die­se enor­men Produktivitätssteigerungen spie­geln sich nicht in ent­spre­chend höhe­ren Löhnen wider.

In der Schweiz stieg die Produktivität je Beschäftigten zwi­schen 1980 und 2020 um rund 60 Prozent. Die Reallöhne leg­ten im glei­chen Zeitraum nur etwa 20 Prozent zu. Die Differenz – 40 Prozent – floss an ande­re Akteure: an Kapitaleigner, Aktionäre und Immobilienbesitzer. Diese Umverteilung war nicht zufäl­lig, son­dern sys­te­ma­tisch. Gleichzeitig stie­gen die Dividendenausschüttungen der SMI-Unternehmen von etwa 10 Milliarden Franken im Jahr 2000 auf über 40 Milliarden Franken 2023. Das ist eine Vervierfachung in nur zwei Jahrzehnten.

Warum Kapital gewinnt und Arbeit verliert

Die Gründe für die­se Entwicklung sind sys­te­misch und erklä­ren, war­um Kapitalbesitzer die abso­lu­ten Gewinner der letz­ten 40 Jahre wur­den. Kapital ist mobil, Arbeit ist lokal gebun­den. Kapital kann sich den bes­ten Standort aus­su­chen, Arbeiter sind an ihren Wohnort gefes­selt. Kapital kann sich gegen Inflation schüt­zen durch Sachwerte, Lohnarbeiter sind der Geldentwertung hilf­los ausgeliefert.

Vor allem aber: Kapital ver­mehrt sich expo­nen­ti­ell, Arbeitskraft nicht. Ein Franken, klug inves­tiert, wird zu zwei, vier, acht Franken. Ein Arbeiter kann nicht expo­nen­ti­ell pro­duk­ti­ver wer­den – die mensch­li­chen Grenzen sind erreicht.

Der Schweizer Aktienindex SMI stieg von 1000 Punkten im Jahr 1988 auf über 12’000 Punkte heu­te – eine Verzwölffachung. Wer 1980 100’000 Franken in Schweizer Aktien inves­tier­te, besitzt heu­te über 1.2 Millionen Franken. Kein Lohnarbeiter konn­te sein Einkommen in der­sel­ben Zeit verzwölffachen.

Die neue Klassengesellschaft: Kapital gegen Arbeit

Diese Entwicklung mar­kiert einen Bruch mit dem Nachkriegskapitalismus. Damals pro­fi­tier­ten Arbeiter und Kapitaleigner gemein­sam vom Wirtschaftswachstum. Heute flies­sen die Früchte des Fortschritts ein­sei­tig an die Kapitalbesitzer.

Die Zahlen sind ein­deu­tig: Während die Löhne real sta­gnier­ten, explo­dier­ten die Kapitalerträge. Der Anteil der Lohneinkommen am Volkseinkommen sank in der Schweiz von etwa 75 Prozent in den 1970er Jahren auf unter 65 Prozent heu­te. Diese zehn Prozentpunkte ent­spre­chen einer gigan­ti­schen Umverteilung von der Arbeit zum Kapital.

Der tech­ni­sche Fortschritt hat eine neue Form der Klassengesellschaft geschaf­fen – dies­mal nicht basie­rend auf Geburt oder Bildung, son­dern auf Kapitalbesitz. Oben ste­hen die Besitzer von Aktien, Immobilien und Unternehmen, die von auto­ma­ti­sier­ten Einnahmen leben. Unten fin­den sich die Lohnabhängigen, die trotz höchs­ter Produktivität aller Zeiten nicht vorankommen.

Diese neue Klassenteilung ist per­fi­der als die alte, weil sie sich als Leistungsgesellschaft tarnt. Während frü­her Adel und Bürgertum offen ihre Privilegien zur Schau stell­ten, behaup­ten heu­te die Kapitalbesitzer, ihre Gewinne sei­en das Resultat von Unternehmertum und Risikobereitschaft. In Wahrheit sind sie oft nur die Nutzniesser eines Systems, das Kapitalerträge sys­te­ma­tisch bevorzugt.

Die Bilanz von 40 Jahren Wandel

Was lässt sich nach die­ser Analyse fest­hal­ten? Der tech­ni­sche Fortschritt der letz­ten vier Jahrzehnte war zwei­fel­los beein­dru­ckend. Computer revo­lu­tio­nier­ten die Arbeitswelt, das Internet ver­netz­te die Welt, Smartphones mach­ten Informationen all­ge­gen­wär­tig verfügbar.

Fortschritt oder Umverteilung von unten nach oben?

Doch der Grossteil des­sen, was als Fortschritt ver­kauft wur­de, ent­pupp­te sich bei nähe­rer Betrachtung als cle­ve­re Umverteilung von der Arbeit zum Kapital. Die Produktivitätsgewinne der Digitalisierung flos­sen nicht in höhe­re Löhne oder nied­ri­ge­re Preise, son­dern in die Taschen der Kapitaleigner.

Die ent­schei­den­de Erkenntnis: Der tech­ni­sche Fortschritt der letz­ten 40 Jahre hat pri­mär den Kapitalbesitzern genützt, nicht den Arbeitnehmern. Während Maschinen und Computer die mensch­li­che Arbeit ersetz­ten, kas­sier­ten die Besitzer die­ser Maschinen die Gewinne. Die Arbeiter, die die­se Produktivitätssteigerung erst ermög­lich­ten, gin­gen leer aus.

Sind wir wirklich wohlhabender?

Die Statistiken zei­gen ein höhe­res Pro-Kopf-Einkommen und mehr Konsum. Doch die­se Zahlen täu­schen. Ein gros­ser Teil des gestie­ge­nen Wohlstands kon­zen­triert sich bei den obers­ten 10 Prozent der Bevölkerung – den­je­ni­gen, die Kapital besitzen.

Gemessen an der Fähigkeit, sich mit einem Einkommen ein Eigenheim zu leis­ten, eine Familie zu grün­den und für das Alter zu spa­ren, sind wei­te Teile der arbei­ten­den Bevölkerung heu­te schlech­ter gestellt als 1980. Sie sind pro­duk­ti­ver, aber nicht wohl­ha­ben­der geworden.

Offene Fragen für die Zukunft

Die Analyse der letz­ten 40 Jahre wirft unbe­que­me Fragen auf: Wenn schon die bis­he­ri­ge Digitalisierung die Ungleichheit ver­stärk­te, was wird dann die künst­li­che Intelligenz bewir­ken? Werden die Gewinne der KI-Revolution wie­der nur einer klei­nen Elite zugu­te­kom­men? Oder gelingt es dies­mal, die Früchte des Fortschritts brei­ter zu verteilen?

Als jemand, der bei­de Welten erlebt hat – die soli­da­ri­sche Nachkriegszeit und den neo­li­be­ra­len Kapitalismus – stel­le ich fest: Wir sind nicht zwangs­läu­fig bes­ser dran, nur weil wir tech­nisch fort­ge­schrit­te­ner sind. Der Briefträger, der noch Zeit für ein Gespräch hat­te, ver­kör­per­te viel­leicht mehr mensch­li­chen Fortschritt als jeder Algorithmus heute.

Fazit: Die Lektion für Anleger

Diese 40-Jahres-Analyse führt zu einer unbe­que­men, aber kris­tall­kla­ren Erkenntnis: Das System hat sich fun­da­men­tal gewan­delt. Kapital schlägt Arbeit – sys­te­ma­tisch, anhal­tend und mit wach­sen­dem Vorsprung. Wer heu­te nur auf sei­nen Lohn setzt, wird lang­fris­tig abgehängt.

Die Zahlen lügen nicht

Die Beweislage ist erdrü­ckend: Während Löhne real sta­gnier­ten, explo­dier­ten die Kapitalerträge. Der SMI ver­zwölf­fach­te sich seit 1988, Schweizer Immobilien ver­sie­ben­fach­ten ihren Wert, die Dividendenausschüttungen der SMI-Unternehmen ver­vier­fach­ten sich seit 2000. Gleichzeitig kann sich ein Facharbeiter heu­te nur noch 7 Prozent eines Eigenheims leis­ten statt 25 Prozent wie 1980.

Diese Entwicklung folgt wirt­schaft­li­chen Gesetzmässigkeiten: Kapital ist mobil, ska­lier­bar und ver­mehrt sich expo­nen­ti­ell. Arbeitskraft ist begrenzt, lokal gebun­den und unter­liegt mensch­li­chen Grenzen. Ein Franken, klug inves­tiert, wird zu zwei, vier, acht Franken. Ein Arbeiter kann nicht expo­nen­ti­ell pro­duk­ti­ver werden.

Die historische Chance unserer Zeit

Doch es gibt eine revo­lu­tio­nä­re Veränderung: Noch nie war es so ein­fach wie heu­te, selbst zum Kapitalbesitzer zu wer­den. Was vor 25 Jahren nur rei­chen Eliten mit pri­va­ten Bankberatern vor­be­hal­ten war, steht heu­te jedem mit einem Smartphone offen.

Online-Broker ermög­li­chen Aktienhandel für weni­ge Franken Gebühren. ETFs erlau­ben es, mit 100 Franken monat­lich gan­ze Märkte zu kau­fen und an der Wertschöpfung von über 1600 Unternehmen welt­weit teil­zu­ha­ben. Sparpläne auto­ma­ti­sie­ren den Vermögensaufbau. Robo-Advisor opti­mie­ren Portfolios. Was frü­her Millionäre brauch­ten – ein diver­si­fi­zier­tes, glo­ba­les Aktienportfolio – bekommt man heu­te per Mausklick.

Investieren als Notwehr gegen das System

In einer Welt, in der Kapital sys­te­ma­tisch bevor­zugt wird, ist Investieren nicht mehr Luxus oder Hobby, son­dern schlicht Notwehr. Wer sein Geld auf dem Sparkonto lässt, wäh­rend die Inflation die Kaufkraft frisst und gleich­zei­tig die Vermögenspreise explo­die­ren, macht sich sys­te­ma­tisch ärmer.

Die Generation der heu­te 30-Jährigen steht vor einer exis­ten­zi­el­len Entscheidung: Entweder sie lernt, wie Geld für sie arbei­tet, oder sie wird ein Leben lang für Geld arbei­ten müs­sen – mit sin­ken­den Aussichten auf Eigenheim, aus­rei­chen­de Rente oder finan­zi­el­le Unabhängigkeit.

Der Wettlauf gegen die Zeit

Die Analyse zeigt: Jedes Jahr, das ohne Kapitalbildung ver­streicht, ist ein ver­lo­re­nes Jahr. Die Kluft zwi­schen Kapitalbesitzern und Lohnabhängigen wird nicht klei­ner, son­dern grös­ser. Während der SMI in den nächs­ten 20 Jahren mög­li­cher­wei­se wie­der um das Vielfache steigt, wer­den die Löhne bes­ten­falls mit der Inflation Schritt halten.

Wer heu­te 25 Jahre alt ist und monat­lich 500 Franken in einen breit diver­si­fi­zier­ten ETF inves­tiert, kann bei his­to­ri­schen Renditen bis zur Pension über eine Million Franken Vermögen auf­bau­en. Wer die­se 500 Franken auf dem Sparkonto lie­gen lässt, hat nach 40 Jahren real weni­ger Geld als heute.

Die Demokratisierung des Kapitalismus

Das Paradoxe unse­rer Zeit: Während das System die Lohnarbeiter sys­te­ma­tisch benach­tei­ligt, bie­tet es gleich­zei­tig jedem die Möglichkeit, die Seiten zu wech­seln. Die Instrumente des Vermögensaufbaus waren noch nie so zugäng­lich, güns­tig und ein­fach zu nut­zen wie heute.

Die Schweizer Wirtschaftsgeschichte der letz­ten 40 Jahre lehrt uns: Das System hat sich gewan­delt, und nur wer die­se Veränderung ver­steht und nutzt, kann davon pro­fi­tie­ren. Die Entscheidung liegt bei jedem selbst: Weiterhin nur Zuschauer des Kapitalismus sein oder end­lich Mitspieler werden.

Die Geschichte zeigt ein­deu­tig, wel­che Seite gewinnt. Die Frage ist nur: Auf wel­cher Seite ste­hen Sie?

Fast täg­lich wird in den Medien das Problem des star­ken Frankens dis­ku­tiert. Scheinbar ist es der so “unab­hän­gi­gen” Schweiz nicht mög­lich ohne län­ger­fris­ti­ge unvor­her­seh­ba­re Nebenwirkungen den Anstieg ihrer Währung zu bremsen.

Die Eurokrise ist in Wahrheit auch eine Frankenkrise

Obwohl eini­ge Eurostaaten stark ver­schul­det sind, hat sich der Euro seit sei­ner Einführung im Jahre 1999 gegen­über sei­ner Handelspartner nicht abge­schwächt. Gegenüber dem US-Dollar (USD) und dem bri­ti­schen Pfund (GBP) hat der EUR über 20% zugelegt:

Zudem lag die Verschuldungsquote der Eurostaaten noch vor der Finanzkrise tie­fer als bei der Einführung ihrer Gemeinschaftswährung. Die aktu­el­le Staatsverschuldung der Eurostaaten kann nicht dem Euro ange­las­tet werden.


Quelle: Spiegel 10.08.2011 — Wie bank­rott ist die Welt?

Japan hat mit über 200% des BIP die höchs­te Verschuldung der Industrienationen, trotz­dem war der Yen (JPY) seit 1999 eher eine star­ke Währung. Die Simplifizierung der mög­li­chen kau­sa­len Zusammenhänge zwi­schen Staatsverschuldung und deren Währungsstärke genügt bes­ten­falls der Propaganda bestimm­ter Politiker und Medien. Letztendlich wird der CHF von den Märkten viel zu hoch bewer­tet. Zudem zeigt die­se Schuldenlandkarte, dass es auch etli­che indus­tria­li­sier­te Länder gibt, des­sen Verschuldung weit­aus gerin­ger aus­fällt als die der Schweiz.

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Sollten wir uns auf die fol­gen­de Aussage noch verlassen?


Quelle: SF1, ECO vom 22.12.2010 — Thomas Jordan: “Wir haben eine Verschärfung der Geldpolitik erfahren”
Thomas Jordan, Vizepräsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB) glaubt an den Willen und Fähigkeit der Notenbanken eine Deflation oder Inflation ver­mei­den zu kön­nen. Sie müss­ten nur zum rich­ti­gen Zeitpunkt die Liquidität aus dem System nehmen.

Zentralbank agieren kaum unabhängig der Staatsgewalt

Notenbanken haben mit ihre Bilanzen mit vie­len Risiken aus­ge­wei­tet. Trotz hoher Buchverluste schüt­tet die SNB für das 2010 die vor­ge­seh­nen CHF 2.5 Milliarden an Bund und Kantone aus.
Kann man noch mit einer unab­hän­gi­gen Geldpolitik der Zentralbank rechnen?

Quelle: Wegelin und Co — Teil aus Anlagekommentar Nr. 274 vom 24.1.2011

Ich habe gros­se Zweifel, dass sich die Notenbanken dem poli­ti­schen Druck ihrer Staatsmacht ent­zie­hen kön­nen. Wahrscheinlich wer­den die Notenbanken ent­ge­gen ihrer Aussagen eine Inflation von über 2% zu las­sen und dabei die Leitzinse tief hal­ten. Dadurch wer­den die Sparenden ein­mal mehr durch ihren Staat ent­eig­net. Die Schweiz wird dabei kei­ne Insel der Glückseligkeit sein, ori­en­tiert sich die SNB doch stark an der Europäische Zentralbank (EZB) und Federal Reserve (Fed).

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Dieser Blog hat­te in letz­ter Zeit eini­ge län­ge­re Sendepausen, dies wird auch in der Zukunft nicht anders sein. Über das Rauschen an den Finanzmärkten oder das neben­säch­li­che Geschehen an der Wirtschaftsfront zu berich­ten ist nicht das Ziel die­ses Blogs, die Verbreitung oder Interpretation sol­cher Nebensächlichkeiten über­las­se ich den “bes­se­ren” Schreibern. Zudem macht es kaum Sinn, dass sich ein lang­fris­tig ori­en­tier­ter Privatanleger mit irgend­wel­chen Transaktionen auf das Ab und Auf von weni­gen Prozenten an den Aktienbörsen reagiert, so hat­te auch ich in den letz­ten zwei Monaten kei­ne Wertschriftentransaktion durchgeführt.

In den letz­ten paar Wochen war ich in zwei PIIGS-Staaten unter­wegs und habe dabei die Finanzmärkte teil­wei­se not­ge­drun­gen bzw. letzt­end­lich glück­li­cher­wei­se kaum beach­tet, sie­he dazu “6 Wochen unter­wegs in Spanien und Portugal”. Natürlich habe ich die zuneh­men­de Schwäche des Euros gegen­über den CHF wahr­ge­nom­men und auch das Vorübergehende erstar­ken des USD.

Über Portugal und Spanien wer­de ich in die­sem Beitrag nicht schrei­ben, viel­mehr geht es ein­mal mehr um den Informationscrash, lang­fris­ti­ge Ziele und um eine ver­pass­te Chance.

Medien fördern den Informationscrash

Die Medien werden auf Grund ihrer Nachrichtengier manipuliert

Ich bin erstaunt, dass sich die Medien der Kontinentaleuropäer so stark auf die in der USA und London pro­du­zier­te nega­ti­ve Euro-Propaganda ein­lässt. Damit ver­su­chen wahr­schein­lich die US-Amerikaner und Briten von ihren noch grös­se­ren Problemen abzu­le­cken. Immer wie­der die Debatte über die Staatsverschuldung von Griechenland in den Medien zu wäl­zen, lenkt nur von den wah­ren Problemen ab. Der mög­li­che grie­chi­sche Zahlungsausfall ist mit dem euro­päi­schen Rettungspaket auf meh­re­re Monate oder gar Jahre hin­aus­ge­scho­ben, wie auch ande­re glo­ba­le Probleme der Finanzwirtschaft ver­tagt wurden. 

Natürlich wird die Volatilität bei­spiels­wei­se einer grie­chi­schen Anleihe an den Finanzmärkten von den Finanzunternehmen begrüsst, lässt sich doch damit sehr viel Geld an den Derivatenmärkten ver­die­nen. Die infor­ma­ti­ons­gie­ri­gen Medien las­sen sich ger­ne für die Verbreitung die­ses künst­lich pro­du­zier­ten Nachrichtenlärms missbrauchen.

Die Bedeutung der Aktienbörse wird überbewertet

Leider för­dern die Medien mit ihrer Berichterstattung, dass der Produktionsfaktor Kapital noch mehr gegen­über dem Produktionsfaktor Arbeit Gewichtung erhält. Dem Menschen den Glauben zu geben, mit Geld sei mehr Geld zu gewin­nen als mit Arbeit zu ver­die­nen, för­dert nur die Spekulation in einem Nullsummen ähn­li­chen Spiel.

Rückkoppelung der guten Stimmung an den Aktienbörsen

Viele Wirtschaftssubjekte ver­wech­seln die Aktienbörse mit der rea­len Wirtschaft. Auch wenn die Aktienkurse stark ange­stie­gen sind, heisst dies nicht, dass die aktu­el­le Finanz- und Wirtschaftskrise über­wun­den ist. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass die Einschätzung der Wirtschaftsentwicklung all­zu sehr an den Indizes der Aktienbörsen hän­gen. Gerade die Medien ver­brei­ten bei fal­len­den Kursen eher nega­ti­ve Wirtschaftsnachrichten und bei stei­gen­den die posi­ti­ven Konjunkturdaten. 

Ab Mai 2010 sanken die Aktienkurse

Scheinbar befürch­ten eini­ge Finanzexperten ein Abflauen des Wirtschaftsaufschwungs und schon zeig­ten die Aktienkurse nach unten oder war es umge­kehrt? Die Aktienkurse gin­gen nach unten und die Ökonomen such­ten nach Erklärungen?
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Ich bin ein kla­rer Befürworter des EU- und Euroraumes. Europa war wäh­rend Jahrhunderten von krie­ge­ri­schen Auseinandersetzungen geprägt. Ich bin über­zeugt, dass mit der EU sehr viel mehr poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Stabilität in Europa Einzug hiel­ten. Die kon­ti­nu­ier­li­che Integration der euro­päi­schen Staaten in einen Staatenverbund erach­te ich in Europa als die bes­te Friedensförderung, dies sind sich eini­ge schwei­ze­ri­sche Bürger nicht bewusst. Der Euro fin­de ich schon nur ange­nehm, da die nicht von Landesgrenze zu Landesgrenze die Währung wechselt.

Natürlich wird es auf dem Weg zu die­ser Integration auch immer wie­der Rückschläge geben, es ist ein lang­fris­ti­ges Projekt mit Höhen und Tiefen.

Die Staatsschulden im Euroraum

Im Folgenden eine Grafik mit den Schulden eini­ger Euroländer im Vergleich mit Grossbritannien und den USA:

Quelle: Gefahr für unser Geld, Faz.net 16.02.2010

Staatsverschuldung von USA und Grossbritannien höher als Euroländer

Zurzeit ist der Fokus der Weltpresse auf den Staatsschulden des Euroraum gerich­tet. Obwohl die USA und auch Grossbritannien noch höhe­re Schuldenberge vor sich herschieben. 

Die bei­den Government Sponso Entities (GSE) Fannie Mae und Fdie Mac zeich­nen und garan­tie­ren zir­ka USD 5’500 Milliarden der US-Hypotheken. Das Fed kauf­te bis USD 1250 Milliarden Mortgage-backed secu­ri­ty (MBS) den bei­den GSE ab. Der US-Staat hat Kreditlimiten für die GSE auf­ge­ho­ben und sich ver­pflich­tet, die wei­tern Defizite, bis ins Jahr 2012 zu über­neh­men. China und Japan kau­fen wei­ter­hin die Anleihen der GSE, weil die­se von einer US-Staatsgarantie für die­se Wertpapiere aus­ge­hen. In der Staatsrechnung wur­den die­se Schuldverpflichtungen der GSE Engagement nur teil­wei­se auf­ge­führt. Würden die Schulden und Garantien voll­stän­dig in die US-Staatsrechnung über­nom­men, dann wür­de die Verschuldung der USA erheb­lich ansteigen. 

Euro-Bail-out

Wahrscheinlich dient die Rettungsaktion für den Euro dazu, den vom grie­chi­schen Staatsdefizit dro­hen­den Dominoeffekt auf wei­te­re Euroländer wie Spanien, Portugal usw. zu unterbinden.

Die Ideologie der amerikanischen Geldvermehrungsmaschinerie nun auch für den Euroraum

Nach dem ame­ri­ka­ni­schen Fed und der Bank von England will nun auch die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsanleihen im Euroraum auf­kau­fen. Die fran­zö­si­schen und spa­ni­schen Banken bedank­ten sich am 10.05.2010 mit Kurssprüngen von 20%. Noch vor weni­gen Tagen war die­ser Ankauf von Staatsanleihen bei der EZB kein Thema – über das Wochenende wur­de nun beschlos­sen, die­se Geldvermehrungsmaschinerie auch für den EU-Raum zu starten.

Bis zu EUR 750 Milliarden wer­den für den Eurowährungsraum bereit­ge­stellt, wovon der Internationale Währungsfonds (IMF) EUR 250 bei­steu­ert. Unmittelbar ste­hen nur EUR 60 Milliarden zur Verfügung, für den grös­se­ren Teil von EUR 440 Milliarden müs­sen die Staaten erst noch ihre Rechtsgrundlage schaffen.

Griechenland und Banken sind auch Erpresser

Griechenland hat­te jah­re­lang fal­sche Angaben über sei­nen Schuldenstand gemacht und so das Ausmass sei­ner Haushaltskrise ver­schlei­ert, nun kön­nen sie dar­auf spe­ku­lie­ren geret­tet zu wer­den. Gemäss dem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist dies Euro-Rettungspaket auch ein wei­te­res Bail-out für die Banken.


Quelle: ZDF, Retten wir den Euro oder die Spekulanten vom 13.05.2010
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