In mei­nem vor­he­ri­gen Beitrag habe ich den wirt­schaft­li­chen Wandel der letz­ten 40 Jahre beleuch­tet. Dabei kam her­aus, dass die­je­ni­gen, die ihr Geld auf dem Sparkonto las­sen, zu den Verlierern gehö­ren. Denn wäh­rend die Löhne sta­gnie­ren, sind die Kapitalerträge stark gestie­gen. Natürlich gibt es auch einen Haken: Der Kapitalertrag kann über einen gewis­sen Zeitraum hin­weg auch nega­tiv aus­fal­len. Seit 2008, aber auch schon frü­her, wur­den Investoren immer wie­der durch Interventionen der ein­zel­nen Zentralbanken vor Schlimmerem bewahrt. Ich bin immer wie­der erstaunt, wel­che Instrumente die Zentralbanken her­vor­zau­bern, um eine grös­se­re Krise abzu­wen­den oder in die Zukunft zu ver­schie­ben. Dies ist auch das Thema die­ses Beitrags. Natürlich haben die­se Interventionen erheb­li­che Nebenwirkungen, da oft­mals nur die Symptome behan­delt wer­den, wäh­rend die­je­ni­gen, die han­deln soll­ten, wei­ter­hin untä­tig bleiben.

Die ame­ri­ka­ni­sche Federal Reserve (FED), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) haben ihre Bilanzen in einem his­to­risch bei­spiel­lo­sen Ausmass aus­ge­wei­tet. Diese Entwicklung begann mit dem berühm­ten “Greenspan Put” nach dem Börsencrash von 1987 und erreich­te ihren vor­läu­fi­gen Höhepunkt wäh­rend der Corona-Pandemie. Doch der Preis für die­se Politik wird immer deut­li­cher: Vermögenspreisinflation, Marktverzerrungen und eine gefähr­li­che Abhängigkeit der Märkte von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung.

Der vor­lie­gen­de Beitrag ana­ly­siert die Entwicklung die­ser drei bedeu­ten­den Zentralbanken, ihre unter­schied­li­chen Motive und die lang­fris­ti­gen Konsequenzen ihrer Interventionspolitik. Dabei zeigt sich ein beun­ru­hi­gen­des Muster: Was als tem­po­rä­re Krisenbekämpfung begann, ist zu einer Dauereinrichtung gewor­den, die neue Risiken schafft und die Grundlagen des frei­en Marktes untergräbt.

Der Ursprung: Greenspan Put und der Beginn einer neuen Ära

Der Börsencrash von 1987 als Wendepunkt

Am 19. Oktober 1987 erleb­ten die Weltbörsen den gröss­ten Kurssturz seit der Weltwirtschaftskrise. Der Dow Jones Industrial Average ver­lor an einem ein­zi­gen Tag 22.6 Prozent sei­nes Wertes. In die­ser kri­ti­schen Situation griff die FED unter Alan Greenspan erst­mals mas­siv ein und signa­li­sier­te den Märkten, dass sie als Käufer letz­ter Instanz fun­gie­ren wer­de. Greenspan erklär­te damals: “Die Federal Reserve ist bereit, als Liquiditätsquelle zu die­nen, um die wirt­schaft­li­che und finan­zi­el­le Stabilität zu unter­stüt­zen.” Diese schein­bar harm­lo­se Aussage mar­kier­te den Beginn einer neu­en Ära in der Geldpolitik. Die Märkte inter­pre­tier­ten die­se Botschaft als impli­zi­te Versicherung gegen grös­se­re Verluste.

Die Geburt des “Greenspan Put”

Der Begriff “Greenspan Put” ent­stand in Anlehnung an Finanzoptionen. Eine Put-Option gewährt dem Inhaber das Recht, einen Vermögenswert zu einem fest­ge­leg­ten Preis zu ver­kau­fen und schützt somit vor Verlusten. Die FED über­nahm fak­tisch die­se Rolle für die gesam­ten Finanzmärkte. Diese impli­zi­te Versicherung hat­te weit­rei­chen­de Folgen: Investoren began­nen, höhe­re Risiken ein­zu­ge­hen, weil sie dar­auf ver­trau­ten, dass die Zentralbank im Krisenfall ein­grei­fen wür­de. Das Phänomen des “Moral Hazard” ent­stieg aus die­ser Politik – die Privatisierung von Gewinnen bei gleich­zei­ti­ger Sozialisierung von Verlusten.

Die Märkte gewöhn­ten sich an die­se Unterstützung und ent­wi­ckel­ten eine gefähr­li­che Abhängigkeit von zen­tral­bank­li­chen Interventionen. Jeder Kursrückgang wur­de zur Gelegenheit für wei­te­re Käufe, weil die Anleger auf das ret­ten­de Eingreifen der FED spekulierten.

Die globale Finanzkrise 2008: Zeitenwende in der Geldpolitik

Der Kollaps von Lehman Brothers als Katalysator

Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 erschüt­ter­te das glo­ba­le Finanzsystem in sei­nen Grundfesten. Binnen weni­ger Tage brach das Vertrauen zwi­schen den Banken zusam­men, Kreditmärkte trock­ne­ten aus und eine welt­wei­te Rezession wur­de unvermeidlich.

Die tra­di­tio­nel­le Geldpolitik stoss an ihre Grenzen. Die Leitzinsen waren bereits auf his­to­ri­sche Tiefststände gesenkt wor­den, doch die Märkte beru­hig­ten sich nicht. Die Zentralbanken muss­ten neue, unkon­ven­tio­nel­le Instrumente ent­wi­ckeln, um die Krise zu bewältigen.

Quantitative Easing als neues Paradigma

In die­ser aus­ser­ge­wöhn­li­chen Situation führ­ten die Zentralbanken das “Quantitative Easing” (QE) ein. Statt nur die kurz­fris­ti­gen Zinsen zu steu­ern, began­nen sie, mas­si­ve Mengen an Staatsanleihen und ande­ren Wertpapieren zu kau­fen. Das Ziel war es, die gesam­te Zinskurve zu beein­flus­sen und Liquidität direkt in die Märkte zu pum­pen. Diese Politik war ein Paradigmenwechsel von his­to­ri­scher Tragweite. Erstmals in der moder­nen Geschichte grif­fen Zentralbanken direkt in die Preisbildung lang­fris­ti­ger Anleihen ein und ver­zerr­ten damit fun­da­men­ta­le Marktmechanismen. Die inter­na­tio­na­le Koordination zwi­schen den gros­sen Zentralbanken ver­stärk­te die­se Effekte zusätz­lich. Synchrone Zinssenkungen und abge­stimm­te QE-Programme schu­fen eine glo­ba­le Liquiditätsschwemme, die alle Anlageklassen erfasste.

Die FED: Pionier der expansiven Geldpolitik

Die QE-Programme im Detail

Die ame­ri­ka­ni­sche Zentralbank star­te­te bereits im November 2008 ihr ers­tes Quantitative-Easing-Programm (QE1). Zwischen 2008 und 2014 folg­ten QE2, Operation Twist und QE3. Insgesamt kauf­te die FED Wertpapiere im Umfang von über 3.5 Billionen US-Dollar und erwei­ter­te ihre Bilanz von 900 Milliarden auf über 4.5 Billionen Dollar. QE1 kon­zen­trier­te sich auf den Kauf von Mortgage-Backed Securities, um den zusam­men­ge­bro­che­nen Hypothekenmarkt zu sta­bi­li­sie­ren. QE2 und QE3 ziel­ten pri­mär auf Staatsanleihen ab, um die gesam­te Zinskurve zu sen­ken und die Wirtschaft anzukurbeln.

Die Operation Twist war ein beson­ders raf­fi­nier­tes Programm: Die FED ver­kauf­te kurz­fris­ti­ge Staatsanleihen und kauf­te gleich­zei­tig lang­fris­ti­ge Papiere, um die Zinskurve zu “ver­dre­hen” und lang­fris­ti­ge Zinsen zu sen­ken, ohne die Bilanz wei­ter auszuweiten.

Erfolge und Nebenwirkungen der FED-Politik

Die expan­si­ve Geldpolitik der FED erziel­te durch­aus ihre beab­sich­tig­ten Effekte. Die ame­ri­ka­ni­sche Wirtschaft erhol­te sich schnel­ler als Europa von der Finanzkrise, die Arbeitslosigkeit sank kon­ti­nu­ier­lich und die Staatsfinanzierung wur­de erheb­lich erleich­tert. Doch die Nebenwirkungen waren beträcht­lich. Die nied­ri­gen Zinsen führ­ten zu einem bei­spiel­lo­sen Boom an den Aktien- und Immobilienmärkten. Der S&P 500 stieg von sei­nem Krisentief 2009 bis 2021 um über 600 Prozent. Parallel dazu ent­stan­den Zombie-Unternehmen, die nur dank der nied­ri­gen Zinsen über­le­ben konn­ten. Die Vermögensungleichheit ver­schärf­te sich dra­ma­tisch. Während Vermögensbesitzer von stei­gen­den Preisen pro­fi­tier­ten, blie­ben die Reallöhne der brei­ten Bevölkerung sta­g­nant. Das obers­te Prozent der ame­ri­ka­ni­schen Haushalte kon­trol­lier­te 2020 über 30 Prozent des gesam­ten Vermögens.

Der Ausstieg aus der expan­si­ven Politik erwies sich als äus­serst schwie­rig. Als die FED 2013 erst­mals andeu­te­te, ihre Anleihekäufe zu redu­zie­ren, führ­te dies zum “Taper Tantrum” – einem hef­ti­gen Ausverkauf an den Anleihemärkten, der die Zentralbank zum Rückzieher zwang.

Die EZB: Zwischen Schuldenkrise und politischer Balance

Besondere Herausforderungen der Eurozone

Die EZB steht vor der ein­zig­ar­ti­gen Aufgabe, eine Geldpolitik für 19 Länder mit unter­schied­li­chen Wirtschaftsstrukturen und Finanzlagen zu betrei­ben. Diese Komplexität wur­de wäh­rend der euro­päi­schen Schuldenkrise ab 2010 beson­ders deut­lich. Während Deutschland eine robus­te Wirtschaft und soli­de Staatsfinanzen auf­wies, kämpf­ten Griechenland, Italien, Spanien und Portugal mit hoher Verschuldung und schwa­chem Wachstum. Die ein­heit­li­che Währung ver­un­mög­lich­te Wechselkursanpassungen, die tra­di­tio­nell als Ventil für Ungleichgewichte gedient hatten.

Draghis “Whatever it takes” als Wendepunkt

Am 26. Juli 2012 sprach EZB-Präsident Mario Draghi die berühm­ten Worte: “Within our man­da­te, the ECB is rea­dy to do wha­te­ver it takes to pre­ser­ve the euro. And belie­ve me, it will be enough.” Diese Aussage stopp­te die Spekulationen gegen den Euro schlag­ar­tig und ret­te­te die Gemeinschaftswährung. Der Erfolg basier­te pri­mär auf der Glaubwürdigkeit der Ankündigung. Paradoxerweise muss­te die EZB zunächst gar nicht han­deln – die blos­se Zusage reich­te aus, um die Märkte zu beru­hi­gen. Dies demons­trier­te die enor­me Macht moder­ner Zentralbankkommunikation.

Die EZB-Programme im Überblick

Die EZB ent­wi­ckel­te eine Reihe unkon­ven­tio­nel­ler Instrumente. Das Outright Monetary Transactions (OMT) Programm erlaub­te den theo­re­tisch unbe­grenz­ten Kauf von Staatsanleihen kri­sen­ge­schüt­tel­ter Länder. Die Long-Term Refinancing Operations (LTRO) stell­ten den Banken lang­fris­ti­ge Liquidität zu güns­ti­gen Konditionen zur Verfügung.

Ab 2015 star­te­te die EZB ihr eige­nes QE-Programm, das Public Sector Purchase Programme (PSPP). Bis 2018 kauf­te sie Staatsanleihen im Umfang von 2.6 Billionen Euro. Während der Corona-Pandemie folg­te das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) mit einem Volumen von wei­te­ren 1.85 Billionen Euro.

Rechtliche Kontroversen und Mandatsüberschreitung

Die Staatsanleihekäufe der EZB waren recht­lich höchst umstrit­ten. Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ver­bie­tet expli­zit die mone­tä­re Finanzierung von Mitgliedstaaten. Die EZB argu­men­tier­te, dass ihre Käufe am Sekundärmarkt statt­fän­den und daher legal sei­en. Kritiker sahen dar­in jedoch eine Umgehung des Verbots. Das deut­sche Bundesverfassungsgericht äus­ser­te wie­der­holt Bedenken und droh­te sogar mit einem Ausstieg der Bundesbank aus den Programmen. Besonders das PSPP-Programm stand im Fokus der Kritik, da es nach Ansicht der Karlsruher Richter unver­hält­nis­mäs­sig war und das Mandat der EZB über­schritt. Der Europäische Gerichtshof wider­sprach die­ser Einschätzung zwar, doch die recht­li­chen Zweifel blie­ben bestehen. Die EZB beweg­te sich fak­tisch in einer Grauzone zwi­schen Geldpolitik und Fiskalpolitik.

Diese Programme sta­bi­li­sier­ten zwar die Eurozone, schu­fen aber auch neue Probleme. Die nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten den Reformdruck in hoch­ver­schul­de­ten Ländern. Italien bei­spiels­wei­se nutz­te die güns­ti­gen Finanzierungsbedingungen nicht für Strukturreformen, son­dern zur Aufrechterhaltung des Status quo. Die poli­ti­schen Spannungen zwi­schen den nörd­li­chen und süd­li­chen Euroländern ver­schärf­ten sich. Deutsche Sparer kri­ti­sier­ten die “Enteignung” durch Negativzinsen, wäh­rend süd­eu­ro­päi­sche Länder von der locke­ren Geldpolitik profitierten.

Die SNB: Kleiner Player mit grossem Balance Sheet

Die Schweiz als sicherer Hafen

Die Schweiz geniesst tra­di­tio­nell den Status eines siche­ren Hafens in tur­bu­len­ten Zeiten. Diese Eigenschaft ver­stärk­te sich wäh­rend der Finanzkrisen der letz­ten Jahre erheb­lich. Internationale Investoren flüch­te­ten mas­sen­haft in Schweizer Franken, was einen enor­men Aufwertungsdruck auf die Währung aus­üb­te. Für eine export­ori­en­tier­te Volkswirtschaft wie die Schweiz stell­te dies eine exis­ten­zi­el­le Bedrohung dar. Ein über­be­wer­te­ter Franken hät­te die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen mas­siv beein­träch­tigt und die Wirtschaft in eine Deflationsspirale stür­zen können.

Der Mindestkurs als radikales Experiment

Am 6. September 2011 ver­kün­de­te die SNB eine bei­spiel­lo­se Massnahme: Sie führ­te einen Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro ein und ver­sprach, die­sen “mit aller Entschlossenheit” zu ver­tei­di­gen. Diese Ankündigung kam einem Paradigmenwechsel gleich – erst­mals in ihrer Geschichte gab die SNB ein expli­zi­tes Wechselkursziel aus. Die Verteidigung des Mindestkurses erfor­der­te mas­si­ve Deviseninterventionen. Zwischen 2011 und 2015 kauf­te die SNB Euro im Umfang von über 500 Milliarden Franken. Ihre Bilanz schwoll von 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts auf über 80 Prozent an.

Am 15. Januar 2015 kapi­tu­lier­te die SNB über­ra­schend und hob den Mindestkurs auf. Der Franken schoss inner­halb von Minuten um über 30 Prozent in die Höhe. Viele Devisenhändler und auch Privatanleger erlit­ten mas­si­ve Verluste. Diese Episode demons­trier­te die Grenzen selbst der mäch­tigs­ten Zentralbanken gegen Marktdruck.

Die SNB als globaler Investor

Die Deviseninterventionen ver­wan­del­ten die SNB in einen der gröss­ten insti­tu­tio­nel­len Investoren der Welt. Mit Währungsreserven von über 900 Milliarden Franken (Stand 2023) über­trifft sie sogar man­che Staatsfonds. Ein beträcht­li­cher Teil die­ser Reserven ist in Aktien ange­legt. Die SNB hält bedeu­ten­de Beteiligungen an ame­ri­ka­ni­schen Technologiekonzernen wie Apple, Microsoft und Google. Diese Konstellation führt zu bizar­ren Situationen: Die Schweizer Zentralbank pro­fi­tiert von stei­gen­den Tech-Aktien, wäh­rend sie gleich­zei­tig für Preisstabilität sor­gen soll.

Die rie­si­ge Bilanz macht die SNB extrem anfäl­lig für Wechselkursschwankungen. Wertet der Franken gegen­über den Anlagewährungen auf, ent­ste­hen mas­si­ve Buchverluste. 2022 ver­buch­te die SNB einen Verlust von 132 Milliarden Franken – den gröss­ten in ihrer Geschichte. Die expan­si­ve Geldpolitik trug auch zum Immobilienboom in der Schweiz bei. Die Hypothekarzinsen san­ken auf his­to­ri­sche Tiefststände, was die Nachfrage nach Wohneigentum anheiz­te. Die Immobilienpreise stie­gen zwi­schen 2009 und 2022 um über 60 Prozent.

Gemeinsame Muster und fundamentale Unterschiede

Einheitliche Trends in der Zentralbankpolitik

Trotz unter­schied­li­cher insti­tu­tio­nel­ler Rahmenbedingungen zei­gen alle drei Zentralbanken bemer­kens­wer­te Gemeinsamkeiten in ihrer Entwicklung. Die Bilanzausweitung war über­all dra­ma­tisch: Die FED ver­grös­ser­te ihre Bilanz um das Neunfache, die EZB um das Sechsfache und die SNB sogar um das Zwölffache.

Alle erreich­ten die Zinsuntergrenze und expe­ri­men­tier­ten mit Negativzinsen. Die direk­ten Marktinterventionen wur­den zur Normalität, obwohl sie ursprüng­lich als Notfallmassnahmen kon­zi­piert waren. Die Kommunikationspolitik ent­wi­ckel­te sich zu einem eigen­stän­di­gen geld­po­li­ti­schen Instrument.

Unterschiedliche Motive und Strategien

Trotz ähn­li­cher Instrumente ver­folg­ten die drei Zentralbanken unter­schied­li­che Ziele. Die FED kon­zen­trier­te sich pri­mär auf die Konjunkturstützung und die Beeinflussung der Zinsstruktur. Ihre Dual-Mandate-Strategie erlaub­te eine fle­xi­ble­re Politik als das rei­ne Inflationsziel ande­rer Notenbanken.

Die EZB kämpf­te vor­ran­gig um das Überleben der Gemeinschaftswährung. Ihre Politik ziel­te dar­auf ab, Fragmentierungsrisiken zu redu­zie­ren und die Transmission geld­po­li­ti­scher Impulse in alle Mitgliedsländer sicher­zu­stel­len. Die indi­rek­te Staatsfinanzierung wur­de dabei not­ge­drun­gen in Kauf genommen.

Die SNB ver­folg­te ein klar defi­nier­tes Wechselkursziel, um die Schweizer Wirtschaft vor defla­tio­nä­ren Kräften zu schüt­zen. Ihre Politik war pri­mär defen­siv aus­ge­rich­tet und reagier­te auf exter­ne Schocks.

Grössenordnungen im Vergleich

Die rela­ti­ven Ausmasse der Bilanzerweiterungen unter­schie­den sich erheb­lich. Während die FED-Bilanz 2023 etwa 30 Prozent des ame­ri­ka­ni­schen BIP umfass­te, erreich­te die EZB-Bilanz rund 60 Prozent der Eurozone-Wirtschaftsleistung. Die SNB über­traf bei­de mit über 100 Prozent des Schweizer BIP.

Notenbankbbilanz in % des BIP (2023-2025)

Diese Unterschiede spie­geln die ver­schie­de­nen Herausforderungen wider: Die SNB muss­te gegen den Aufwertungsdruck einer klei­nen, offe­nen Volkswirtschaft kämp­fen. Die EZB benö­tig­te mas­si­ve Interventionen, um die frag­men­tier­te Eurozone zu sta­bi­li­sie­ren. Die FED konn­te auf­grund der Reservewährungsstellung des Dollars mode­ra­ter agieren.

Nebenwirkungen und unbeabsichtigte Folgen

Der permanente “Zentralbank-Put”

Was ursprüng­lich als Notfallmassnahme gedacht war, ent­wi­ckel­te sich zu einer Dauereinrichtung. Die Märkte gewöhn­ten sich an die Unterstützung und preis­ten sie in ihre Kalkulationen ein. Jeder grös­se­re Kursrückgang führ­te zu Spekulationen über neue Interventionen.

Diese Erwartungshaltung ver­än­der­te das Verhalten der Marktteilnehmer fun­da­men­tal. Risikobewertungen wur­den ver­nach­läs­sigt, weil das Verlustrisiko als begrenzt wahr­ge­nom­men wur­de. Investoren ent­wi­ckel­ten eine “Buy-the-Dip”-Mentalität, die auf dem Vertrauen in zen­tral­bank­li­che Unterstützung basierte.

Vermögenspreisinflation als ungewollte Konsequenz

Die expan­si­ve Geldpolitik führ­te zu einer bei­spiel­lo­sen Vermögenspreisinflation. Aktien, Immobilien und Anleihen stie­gen glei­cher­mas­sen und erreich­ten his­to­ri­sche Bewertungsniveaus. Diese Entwicklung war nicht geplant, aber unver­meid­lich, da die über­schüs­si­ge Liquidität irgend­wo inves­tiert wer­den muss­te. Die Vermögenspreisinflation ver­schärf­te die gesell­schaft­li­che Ungleichheit dra­ma­tisch. Vermögensbesitzer pro­fi­tier­ten über­pro­por­tio­nal, wäh­rend Menschen ohne Kapitaleinkommen leer aus­gin­gen. In den USA besass 2023 das obers­te Prozent der Haushalte mehr Vermögen als die unte­ren 50 Prozent zusammen.

Sinkender Reformdruck und politische Verzerrungen

Die nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten den Reformdruck für hoch­ver­schul­de­te Staaten erheb­lich. Länder wie Italien konn­ten sich trotz struk­tu­rel­ler Probleme güns­tig refi­nan­zie­ren und ver­scho­ben not­wen­di­ge Reformen auf unbe­stimm­te Zeit. Diese Entwicklung unter­gräbt lang­fris­tig die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft. Ineffiziente Strukturen wer­den künst­lich am Leben erhal­ten, statt durch pro­duk­ti­ve­re Alternativen ersetzt zu wer­den. Das Phänomen der Zombie-Unternehmen brei­te­te sich aus – Firmen, die nur dank nied­ri­ger Zinsen über­le­ben können.

Gefährliche Abhängigkeiten

Die Märkte ent­wi­ckel­ten eine bedenk­li­che Abhängigkeit von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung. Jede Andeutung einer Politikänderung führ­te zu hef­ti­gen Reaktionen. Der “Taper Tantrum” von 2013, die Marktturbulenzen Ende 2018 und die Verwerfungen wäh­rend der ers­ten Zinserhöhungen 2022 demons­trier­ten die­se Fragilität. Diese Abhängigkeit schränkt den Handlungsspielraum der Zentralbanken ein. Sie wer­den zu Gefangenen ihrer eige­nen Politik und kön­nen nicht mehr glaub­wür­dig mit einer Normalisierung dro­hen, ohne schwe­re Marktturbulenzen zu riskieren.

Die Inflation nach 2020: Mitschuld der Zentralbanken?

Inflation von 2003 - 2005

Komplexe Ursachenanalyse

Die Inflation, die ab 2021 in den ent­wi­ckel­ten Volkswirtschaften auf­trat, hat­te mul­ti­ple Ursachen. Die Corona-Pandemie stör­te glo­ba­le Lieferketten mas­siv und führ­te zu Engpässen bei wich­ti­gen Rohstoffen und Vorprodukten. Der Krieg in der Ukraine ver­stärk­te die­se Probleme, ins­be­son­de­re bei Energie und Nahrungsmitteln. Politische Faktoren spiel­ten eben­falls eine wich­ti­ge Rolle. Massive Fiskalpakete pump­ten Kaufkraft in die Wirtschaft, wäh­rend das Angebot pan­de­mie­be­dingt redu­ziert war. Diese Nachfrage-Angebot-Schere trieb die Preise nach oben.

Doch die mone­tä­ren Faktoren dür­fen nicht igno­riert wer­den. Jahrzehntelange Liquiditätsexpansion hat­te die Grundlage für infla­tio­nä­re Entwicklungen geschaf­fen. Die ultra-nied­ri­gen Zinsen redu­zier­ten die Sparneigung und för­der­ten den Konsum. Zudem führ­ten sie zu Fehlinvestitionen in unpro­duk­ti­ve Bereiche.

Versäumnisse in der Geldpolitik

Die Zentralbanken unter­schätz­ten die Inflationsgefahr und hiel­ten zu lan­ge an ihrer “Lower for Longer”-Strategie fest. Noch 2021 bezeich­ne­ten FED-Chef Jerome Powell und EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Inflation als “vor­über­ge­hend” und “tran­si­to­risch”. Diese Fehleinschätzung hat­te schwer­wie­gen­de Folgen. Als die Inflation sich als hart­nä­cki­ger erwies als erwar­tet, muss­ten die Zentralbanken abrupt ihre Politik ändern. Die FED hob die Zinsen zwi­schen 2022 und 2023 um 525 Basispunkte an – eine der aggres­sivs­ten Zinszyklen der Geschichte.

Leitzinsen von 2003 - 2005

Die EZB hink­te deut­lich hin­ter­her und begann erst im Juli 2022 mit Zinserhöhungen, obwohl die Inflation bereits zwei­stel­li­ge Werte erreicht hat­te. Diese Verzögerung ver­stärk­te die infla­tio­nä­ren Erwartungen und erschwer­te die spä­te­re Bekämpfung.

Folgen der verspäteten Reaktion

Der Vertrauensverlust in die Inflationsbekämpfung war beträcht­lich. Umfragen zeig­ten, dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Kompetenz der Zentralbanken ver­lo­ren hat­te. Die müh­sam auf­ge­bau­te Glaubwürdigkeit der letz­ten Jahrzehnte wur­de bin­nen weni­ger Monate zer­stört. Die abrup­ten Zinserhöhungen führ­ten zu schwe­ren Verwerfungen an den Finanzmärkten. Bankenkrisen in den USA (Silicon Valley Bank, First Republic Bank) demons­trier­ten die Fragilität eines auf nied­ri­ge Zinsen ange­wie­se­nen Systems. Auch in Europa gerie­ten Institute wie die Credit Suisse unter Druck.

Die aggres­si­ve Zinspolitik erhöh­te das Rezessionsrisiko erheb­lich. Viele Ökonomen pro­gnos­ti­zier­ten für 2023 einen deut­li­chen Konjunktureinbruch, der zwar aus­blieb, aber die Unsicherheit verstärkte.

Ausblick: Die Zukunft der Zentralbanken

Fundamentale Herausforderungen

Die Zentralbanken ste­hen vor einem Dilemma: Sie müs­sen gleich­zei­tig die Inflation bekämp­fen und die Finanzstabilität sichern. Diese bei­den Ziele kön­nen sich wider­spre­chen, ins­be­son­de­re wenn Zinserhöhungen sys­te­mi­sche Risiken aus­lö­sen. Die hohe Schuldenlast vie­ler Staaten begrenzt den Spielraum für eine nor­ma­le Zinspolitik erheb­lich. Italien bei­spiels­wei­se wür­de bei deut­lich höhe­ren Zinsen schnell in Finanzierungsprobleme gera­ten. Dies zwingt die EZB zu einem schwie­ri­gen Balanceakt zwi­schen Inflationsbekämpfung und Stabilität.

Die poli­ti­sche Unabhängigkeit der Zentralbanken gerät zuneh­mend unter Druck. Politiker for­dern nied­ri­ge­re Zinsen zur Konjunkturstützung, wäh­rend die Bevölkerung Massnahmen gegen die Inflation ver­langt. Diese wider­sprüch­li­chen Erwartungen erschwe­ren eine kon­sis­ten­te Politik.

Neue Instrumente und Paradigmen

Einige Zentralbanken expe­ri­men­tie­ren mit “grü­ner Geldpolitik” und berück­sich­ti­gen Klimarisiken in ihrer Strategie. Die EZB kauft bevor­zugt Anleihen von Unternehmen mit bes­se­rer Klimabilanz, wäh­rend die Bank of England Klimastress-Tests für Banken durchführt.

Digitale Zentralbankwährungen (CBDCs) könn­ten die Geldpolitik revo­lu­tio­nie­ren. Sie wür­den den Zentralbanken direk­te­ren Zugang zu den Bürgern ver­schaf­fen und neue Instrumente wie “Helikoptergeld” ermög­li­chen. Doch die Implementierung wirft schwie­ri­ge Fragen bezüg­lich Datenschutz und Finanzstabilität auf.

Rückkehr zur Normalität oder neue Ära?

Die ent­schei­den­de Frage lau­tet: Können die Zentralbanken zu einer “nor­ma­len” Geldpolitik zurück­keh­ren oder sind sie zu Dauerinterventionisten gewor­den? Die Erfahrungen der letz­ten Jahre deu­ten dar­auf hin, dass die Märkte ohne Unterstützung kaum mehr funk­ti­ons­fä­hig sind. Eine Normalisierung wür­de mas­si­ve Bewertungskorrekturen an den Finanzmärkten erfor­dern. Viele Geschäftsmodelle, die auf nied­ri­ge Zinsen ange­wie­sen sind, wür­den kol­la­bie­ren. Die gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Kosten einer sol­chen Bereinigung wären immens. Wahrscheinlicher ist daher eine neue Ära per­ma­nen­ter Interventionen mit gele­gent­li­chen Versuchen der Normalisierung. Die Zentralbanken wer­den zwi­schen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität lavie­ren müs­sen, ohne lang­fris­tig eines der bei­den Ziele nach­hal­tig zu erreichen.

Fazit

Die ver­gan­ge­nen 25 Jahre haben die Zentralbanken von Hütern der Preisstabilität zu akti­ven Marktinterventionisten ver­wan­delt. Was mit dem Greenspan Put als Notfallmassnahme begann, ent­wi­ckel­te sich zu einem dau­er­haf­ten System der Marktunterstützung.

Die FED, EZB und SNB haben zwei­fel­los Stabilität in Krisenzeiten geschaf­fen und grös­se­re Verwerfungen ver­hin­dert. Doch der Preis für die­se Politik wird immer deut­li­cher sicht­bar: Vermögenspreisinflation, Marktverzerrungen, sin­ken­der Reformdruck und eine gefähr­li­che Abhängigkeit der Märkte von zen­tral­bank­li­cher Unterstützung.

Die Inflation der Jahre 2021–2023 war ein Weckruf, der die Grenzen die­ser Politik auf­zeig­te. Die ver­spä­te­te und dann umso aggres­si­ve­re Reaktion der Zentralbanken demons­trier­te, wie schwie­rig der Umgang mit den Nebenwirkungen ihrer eige­nen Politik gewor­den ist.

Die Zukunft wird zei­gen, ob die Zentralbanken den Weg zurück zu einer markt­kon­for­me­ren Politik fin­den oder ob sie zu per­ma­nen­ten Interventionisten wer­den. Die Erfahrungen der letz­ten Jahre las­sen ver­mu­ten, dass letz­te­res wahr­schein­li­cher ist. Die Märkte sind zu abhän­gig gewor­den, die Schuldenlasten zu hoch und die poli­ti­schen Kosten einer Normalisierung zu gross. Was als tem­po­rä­re Krisenbekämpfung gedacht war, ist zur neu­en Normalität gewor­den. Die Frage ist nicht mehr, ob die Zentralbanken inter­ve­nie­ren, son­dern nur noch wann und wie mas­siv. Diese Entwicklung unter­gräbt lang­fris­tig die Fundamente der Marktwirtschaft und schafft neue, noch grös­se­re Risiken für die Zukunft.

Jeder in der Schweiz gebo­re­ne, der wie ich schon 55 Jahre und mehr auf dem Pukel trägt, erin­nert sich an eine Zeit, als die Wirtschaft noch nach ande­ren Gesetzmässigkeiten funk­tio­nier­te. Der Briefträger hat­te Zeit für einen Schwatz, an jeder Ecke stand ein Kiosk, und wenn man Rechnungen bezah­len woll­te, ging man zum Bank- oder Postschalter. Dort war­te­te ein Angestellter, der einem half. Ein ein­zi­ges Einkommen reich­te aus, um eine Familie zu ernäh­ren und sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.

Heute, im Jahr 2025, fra­ge ich mich oft: Was ist mit die­ser Welt gesche­hen? Wir arbei­ten heu­te nicht viel weni­ger Stunden als damals, trotz­dem scheint es für einen Arbeiter viel schwie­ri­ger gewor­den zu sein, sich ein Haus als Eigentum zu erwer­ben. Der tech­ni­sche Fortschritt war gigan­tisch – seit 1984 erober­ten Computer lang­sam die Firmen, spä­ter das Internet, dann Smartphones und heu­te spre­chen alle von künst­li­cher Intelligenz. Trotzdem oder gera­de des­we­gen stellt sich die Frage: Welche Bevölkerungsschicht hat in den letz­ten 40 Jahren von die­sem tech­ni­schen Fortschritt wirt­schaft­lich profitiert?

Die Schweiz meiner Jugend (1960er-1980er)

Als ein Lohn noch reichte

In den 1960er und 1970er Jahren war die Schweiz ein ande­res Land. Meine Kindheit war geprägt von einer Wirtschaft, in der ein Familienernährer aus­reich­te. Die Frauen waren deut­lich weni­ger in bezahl­ten Berufen tätig, was heu­te ger­ne als rück­stän­dig bezeich­net wird, aber einen ent­schei­den­den Effekt hat­te: Das ver­füg­ba­re Arbeitskräfteangebot war klei­ner, die Löhne ent­spre­chend höher.

Ein Durchschnittsverdiener konn­te damals tat­säch­lich davon träu­men, ein Haus zu kau­fen. Die Immobilienpreise stan­den in einem ver­nünf­ti­gen Verhältnis zu den Löhnen. In den frü­hen 1980er Jahren kos­te­te ein durch­schnitt­li­ches Einfamilienhaus in der Schweiz etwa das Vier- bis Fünffache eines Jahresgehalts eines Facharbeiters. Bei einem Jahreseinkommen von 40’000 Franken kos­te­te ein Haus rund 180’000 Franken. Mit Eigenkapital von 20 Prozent und einer Hypothek war ein Hauskauf für nor­ma­le Arbeitnehmerfamilien durch­aus machbar.

Die Welt der persönlichen Dienstleistungen

Der Briefträger kann­te jeden in der Nachbarschaft und hat­te Zeit für ein Gespräch. An jeder Strassenecke gab es einen Kiosk, oft geführt von einer Familie, die dort ihr Auskommen fand. Diese klei­nen Geschäfte waren mehr als nur Verkaufsstellen – sie waren sozia­le Treffpunkte der Quartiere.

Bei der Bank oder Post war­te­te ech­tes Personal. Wenn man Rechnungen bezah­len woll­te, ging man zum Schalter, füll­te einen Einzahlungsschein aus, und ein Angestellter erle­dig­te den Rest. An der Tankstelle bedien­te ein Angestellter die Pumpe, im Supermarkt scann­ten Kassiererinnen alle Waren. Diese Dienstleistungen waren selbst­ver­ständ­lich und kos­te­ten nichts extra.

Bescheidener Luxus und lokale Ferien

Luxus war damals noch beschei­den und über­schau­bar: ein teu­re­res Auto, ein grös­se­res Haus, viel­leicht eine klei­ne Segelyacht. Die Möglichkeiten, Geld aus­zu­ge­ben, waren begrenzt. Es gab schlicht nicht das brei­te Angebot an Luxusgütern, das heu­te existiert.

Die Ferien waren noch beschei­den und lokal geprägt. Das Auto brach­te die Familie ins Tessin, nach Österreich oder an die fran­zö­si­sche Mittelmeerküste. Eine zwei­wö­chi­ge Fahrt mit dem VW Käfer oder Opel Kadett nach Italien war der Höhepunkt des Jahres. Übernachtet wur­de im Zelt oder in ein­fa­chen Pensionen.

Die Freizeitgestaltung war weni­ger kom­mer­zia­li­siert: Sonntagsausflüge in die nahen Berge, Spaziergänge, Besuche bei Verwandten. Sport bedeu­te­te den ört­li­chen Fussballclub oder Turnverein, nicht das teu­re Fitness-Studio mit Personal Trainer.

Das Familienbudget der 1980er Jahre

1980 gaben Schweizer Haushalte noch einen gros­sen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus – etwa 15 bis 20 Prozent. Die Wohnkosten belie­fen sich auf rund 20 Prozent des Budgets. Gesundheitskosten waren mar­gi­nal, da die Krankenkassenprämien deut­lich tie­fer lagen und vie­le teu­re medi­zi­ni­sche Behandlungen noch nicht existierten.

Familien leb­ten auf etwa 34 Quadratmetern pro Person und in Haushalten mit durch­schnitt­lich 2.8 Personen. Die Fixkosten waren über­schau­bar, ein gros­ser Teil des Einkommens blieb für Sparen und gele­gent­li­che Anschaffungen übrig.

Die Schweiz von heute (2025)

Der Doppelverdiener-Zwang

Parallel zum Produktivitätswachstum eta­blier­te sich ein neu­es Familienmodell: der Doppelverdiener-Haushalt. Frauen dräng­ten mas­siv in den Arbeitsmarkt, was gesell­schaft­lich als Fortschritt gefei­ert wur­de. Aus öko­no­mi­scher Sicht hat­te die­se Entwicklung jedoch eine Kehrseite: Das Arbeitskräfteangebot ver­dop­pel­te sich prak­tisch, was den Lohndruck verstärkte.

Was als Emanzipation begann, wur­de zur Notwendigkeit. Heute müs­sen in den meis­ten Familien bei­de Partner arbei­ten, um den­sel­ben Lebensstandard zu errei­chen, den frü­her ein Einkommen ermög­lich­te. Der ver­meint­li­che Fortschritt ent­pupp­te sich als Hamsterrad: Mehr Arbeit für das glei­che Ergebnis.

Eigenheim als Luxusgut

Heute kos­tet das­sel­be Haus in ver­gleich­ba­rer Lage oft das Zehn- bis Fünfzehnfache eines Jahresgehalts. Bei einem durch­schnitt­li­chen Facharbeiterlohn von 70’000 Franken müss­te man für ein Haus mit 900’000 Franken rech­nen – und das wäre noch güns­tig. In belieb­ten Regionen sind Preise von über einer Million Franken die Regel.

Ein Facharbeiter kann heu­te mit sei­nem Jahreslohn nur noch etwa 7 Prozent eines durch­schnitt­li­chen Einfamilienhauses finan­zie­ren, wäh­rend es 1980 noch 25 Prozent waren. Wohneigentum ist für nor­ma­le Arbeitnehmerfamilien prak­tisch uner­reich­bar geworden.

Die Selbstbedienungs-Gesellschaft

Heute tippt der Kunde selbst sei­ne Daten ins Online-Banking. An der Tankstelle macht jeder Autofahrer die Bedienung selbst. Im Supermarkt gibt es Selbstbedienungskassen. Die Briefträger wir­ken gehetzt, het­zen von Haus zu Haus und haben kaum Zeit für mensch­li­che Kontakte.

Die Unternehmen ver­kau­fen die­se Entwicklung als Fortschritt: “Mehr Flexibilität für den Kunden”, “Rund um die Uhr ver­füg­bar”, “Keine Wartezeiten”. In Wirklichkeit han­delt es sich um eine gigan­ti­sche Kostenverlagerung. Die Arbeit wird nicht ein­ge­spart, son­dern gra­tis an die Kunden aus­ge­la­gert. Die ein­ge­spar­ten Lohnkosten flos­sen nicht in nied­ri­ge­re Preise, son­dern in höhe­re Gewinne.

Luxusindustrie für die einen, Kostenfalle für die anderen

Für Superreiche gibt es heu­te ein völ­lig neu­es Universum des Luxus. Megayachten kos­ten nicht mehr eine Million, son­dern 500 Millionen Franken. Privatjets wer­den zu flie­gen­den Palästen umge­baut. Häuser wer­den zu 100-Millionen-Anwesen mit 20 Schlafzimmern, Helikopter-Landeplätzen und unter­ir­di­schen Garagenstädten.

Diese Luxusindustrie schafft künst­lich immer neue Bedürfnisse für die Reichen. Plötzlich reicht die 50-Meter-Yacht nicht mehr, man braucht eine 100-Meter-Yacht. Jeff Bezos baut sich eine Yacht für 500 Millionen Dollar, also muss Elon Musk eine für 600 Millionen bau­en. Dieser Luxuswettbewerb erklärt, war­um die Gier nach immer höhe­ren Kapitalrenditen nie aufhört.

Die neuen Kostenfallen des Alltags

Heute ver­schlingt allein das Wohnen oft 30 bis 40 Prozent des Haushaltsbudgets. Die Krankenkassenprämien fres­sen wei­te­re 10 bis 15 Prozent. Hinzu kom­men neue Kostenkategorien, die 1980 noch nicht exis­tier­ten: Handy-Abos, Internet, Streaming-Dienste, Software-Lizenzen.

Besonders per­fi­de ist der Wandel vom Eigentum zum Abonnement. Früher kauf­te man eine Schreibmaschine und nutz­te sie jahr­zehn­te­lang. Heute mie­tet man Software monat­lich. Früher kauf­te man Schallplatten, heu­te abon­niert man Musik-Streaming. Diese Abo-Modelle gene­rie­ren kon­ti­nu­ier­li­che Einnahmen für die Unternehmen, belas­ten aber die Haushaltsbudgets permanent.

Ein wei­te­rer Kostentreiber ist die dra­ma­ti­sche Veränderung der Haushaltsstrukturen. 1980 leb­ten in der Schweiz durch­schnitt­lich 2.8 Personen pro Haushalt, heu­te sind es nur noch etwa 2.2 Personen. Gleichzeitig explo­dier­te die Zahl der Singlehaushalte. Alleine zu leben ist ein teu­rer Luxus, da die Fixkosten für Miete, Heizung und Strom von einer Person allein getra­gen wer­den müssen.

Parallel dazu stieg die durch­schnitt­li­che Wohnfläche pro Person mas­siv an. Lebte 1980 ein Schweizer auf etwa 34 Quadratmetern, sind es heu­te über 50 Quadratmeter. Mehr Platz bedeu­tet höhe­re Miet- oder Eigentumskosten, höhe­re Heizkosten und mehr Möbelbedarf.

Gesundheitskosten und das teure Geschenk der Langlebigkeit

Ein beson­ders dras­ti­sches Beispiel ist das Gesundheitswesen. Die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit stie­gen in der Schweiz seit 1980 infla­ti­ons­be­rei­nigt um über 300 Prozent. Die gestie­ge­ne Lebenserwartung wird oft als rei­ner Gewinn gefei­ert, doch sie hat auch mas­si­ve Kostenfolgen. 1980 betrug die Lebenserwartung in der Schweiz etwa 73 Jahre, heu­te liegt sie bei über 83 Jahren – zehn zusätz­li­che Lebensjahre.

Diese zehn Jahre sind jedoch nicht ein­fach zehn gesun­de Jahre mehr. Oft sind es Jahre mit chro­ni­schen Krankheiten, Pflegebedürftigkeit und inten­si­ver medi­zi­ni­scher Betreuung. Die teu­ers­ten Jahre im Leben eines Menschen sind typi­scher­wei­se die letz­ten bei­den – und davon gibt es heu­te deut­lich mehr.

Fernreisen als neue Normalität

Heute sind Flugreisen zur Normalität gewor­den. Wochenendtrips nach Barcelona, Skiferien in Kanada, Badeferien auf den Malediven – die geo­gra­fi­schen Horizonte haben sich dra­ma­tisch erwei­tert. Parallel dazu explo­dier­te das kom­mer­zi­el­le Freizeitangebot. Fitness-Studios, Wellness-Zentren, Adventure Parks, Konzerte, Festivals – für jede Minute der Freizeit gibt es heu­te kos­ten­pflich­ti­ge Angebote.

Die Ausgaben für Ferien und Freizeit stie­gen über­pro­por­tio­nal zum Einkommen. Während eine Familie 1980 viel­leicht 5 Prozent ihres Jahresbudgets für Ferien aus­gab, sind heu­te 10 bis 15 Prozent nor­mal. Diese Entwicklung offen­bart ein Paradox: Obwohl die Menschen kla­gen, weni­ger Geld zu haben, geben sie gleich­zei­tig mehr für Freizeit aus als je zuvor.

Warum sich alles verändert hat – Die Ursachen

Die Shareholder-Revolution der 1980er Jahre

Ein ent­schei­den­der Wendepunkt war die Durchsetzung des Shareholder-Value-Prinzips in den 1980er Jahren. Davor ori­en­tier­ten sich Unternehmen am Stakeholder-Modell: Sie berück­sich­tig­ten die Interessen aller Beteiligten – Aktionäre, Angestellte, Kunden und die Gesellschaft.

Mit dem Aufkommen neo­li­be­ra­ler Wirtschaftstheorien setz­te sich die Idee durch, Unternehmen hät­ten pri­mär den Aktionärswert zu maxi­mie­ren. Diese Philosophie, impor­tiert aus den USA, revo­lu­tio­nier­te die Schweizer Wirtschaft grund­le­gend. Plötzlich stan­den nicht mehr lang­fris­ti­ge Unternehmensziele im Vordergrund, son­dern kurz­fris­ti­ge Gewinnmaximierung.

Aktienrückkäufe statt Lohnerhöhungen

Die Folgen waren dra­ma­tisch. Statt Gewinne in höhe­re Löhne, bes­se­re Arbeitsbedingungen oder Forschung zu inves­tie­ren, schüt­te­ten Unternehmen immer grös­se­re Summen an ihre Aktionäre aus. Ein beson­ders per­fi­des Instrument wur­den Aktienrückkäufe: Unternehmen kauf­ten eige­ne Aktien zurück, um deren Kurs zu stüt­zen und die Rendite je Aktie künst­lich zu erhöhen.

Schweizer Grosskonzerne wie Nestlé, Novartis oder die UBS gaben in den letz­ten zwei Jahrzehnten Dutzende von Milliarden für Aktienrückkäufe aus – Geld, das theo­re­tisch für Lohnerhöhungen ver­füg­bar gewe­sen wäre. Allein Nestlé schüt­te­te seit 2000 über 100 Milliarden Franken an die Aktionäre aus, wäh­rend die Löhne der Angestellten real stagnierten.

Diese Entwicklung war kein Naturgesetz, son­dern das Resultat bewuss­ter Entscheidungen. Gewerkschaften wur­den geschwächt, Tarifverhandlungen unter­gra­ben, Arbeitsplätze ins Ausland ver­la­gert. Gleichzeitig explo­dier­ten die Managergehälter: Verdiente ein CEO 1980 etwa das 20-fache eines Durchschnittsarbeiters, sind es heu­te oft das 200-fache.

Die grosse Produktivitäts-Lohn-Schere

Betrachtet man die Entwicklung der letz­ten vier Jahrzehnte nüch­tern, wird ein fun­da­men­ta­ler Bruch sicht­bar. Die Arbeitszeit hat sich kaum ver­än­dert – ein Vollzeitbeschäftigter arbei­tet heu­te etwa gleich vie­le Stunden wie 1980. Die Produktivität ist jedoch explodiert.

Ein Arbeiter pro­du­ziert heu­te dank Computer, auto­ma­ti­sier­ten Maschinen und opti­mier­ten Prozessen ein Vielfaches des­sen, was sein Kollege 1980 schaff­te. Doch die­se enor­men Produktivitätssteigerungen spie­geln sich nicht in ent­spre­chend höhe­ren Löhnen wider.

In der Schweiz stieg die Produktivität je Beschäftigten zwi­schen 1980 und 2020 um rund 60 Prozent. Die Reallöhne leg­ten im glei­chen Zeitraum nur etwa 20 Prozent zu. Die Differenz – 40 Prozent – floss an ande­re Akteure: an Kapitaleigner, Aktionäre und Immobilienbesitzer. Diese Umverteilung war nicht zufäl­lig, son­dern sys­te­ma­tisch. Gleichzeitig stie­gen die Dividendenausschüttungen der SMI-Unternehmen von etwa 10 Milliarden Franken im Jahr 2000 auf über 40 Milliarden Franken 2023. Das ist eine Vervierfachung in nur zwei Jahrzehnten.

Warum Kapital gewinnt und Arbeit verliert

Die Gründe für die­se Entwicklung sind sys­te­misch und erklä­ren, war­um Kapitalbesitzer die abso­lu­ten Gewinner der letz­ten 40 Jahre wur­den. Kapital ist mobil, Arbeit ist lokal gebun­den. Kapital kann sich den bes­ten Standort aus­su­chen, Arbeiter sind an ihren Wohnort gefes­selt. Kapital kann sich gegen Inflation schüt­zen durch Sachwerte, Lohnarbeiter sind der Geldentwertung hilf­los ausgeliefert.

Vor allem aber: Kapital ver­mehrt sich expo­nen­ti­ell, Arbeitskraft nicht. Ein Franken, klug inves­tiert, wird zu zwei, vier, acht Franken. Ein Arbeiter kann nicht expo­nen­ti­ell pro­duk­ti­ver wer­den – die mensch­li­chen Grenzen sind erreicht.

Der Schweizer Aktienindex SMI stieg von 1000 Punkten im Jahr 1988 auf über 12’000 Punkte heu­te – eine Verzwölffachung. Wer 1980 100’000 Franken in Schweizer Aktien inves­tier­te, besitzt heu­te über 1.2 Millionen Franken. Kein Lohnarbeiter konn­te sein Einkommen in der­sel­ben Zeit verzwölffachen.

Die neue Klassengesellschaft: Kapital gegen Arbeit

Diese Entwicklung mar­kiert einen Bruch mit dem Nachkriegskapitalismus. Damals pro­fi­tier­ten Arbeiter und Kapitaleigner gemein­sam vom Wirtschaftswachstum. Heute flies­sen die Früchte des Fortschritts ein­sei­tig an die Kapitalbesitzer.

Die Zahlen sind ein­deu­tig: Während die Löhne real sta­gnier­ten, explo­dier­ten die Kapitalerträge. Der Anteil der Lohneinkommen am Volkseinkommen sank in der Schweiz von etwa 75 Prozent in den 1970er Jahren auf unter 65 Prozent heu­te. Diese zehn Prozentpunkte ent­spre­chen einer gigan­ti­schen Umverteilung von der Arbeit zum Kapital.

Der tech­ni­sche Fortschritt hat eine neue Form der Klassengesellschaft geschaf­fen – dies­mal nicht basie­rend auf Geburt oder Bildung, son­dern auf Kapitalbesitz. Oben ste­hen die Besitzer von Aktien, Immobilien und Unternehmen, die von auto­ma­ti­sier­ten Einnahmen leben. Unten fin­den sich die Lohnabhängigen, die trotz höchs­ter Produktivität aller Zeiten nicht vorankommen.

Diese neue Klassenteilung ist per­fi­der als die alte, weil sie sich als Leistungsgesellschaft tarnt. Während frü­her Adel und Bürgertum offen ihre Privilegien zur Schau stell­ten, behaup­ten heu­te die Kapitalbesitzer, ihre Gewinne sei­en das Resultat von Unternehmertum und Risikobereitschaft. In Wahrheit sind sie oft nur die Nutzniesser eines Systems, das Kapitalerträge sys­te­ma­tisch bevorzugt.

Die Bilanz von 40 Jahren Wandel

Was lässt sich nach die­ser Analyse fest­hal­ten? Der tech­ni­sche Fortschritt der letz­ten vier Jahrzehnte war zwei­fel­los beein­dru­ckend. Computer revo­lu­tio­nier­ten die Arbeitswelt, das Internet ver­netz­te die Welt, Smartphones mach­ten Informationen all­ge­gen­wär­tig verfügbar.

Fortschritt oder Umverteilung von unten nach oben?

Doch der Grossteil des­sen, was als Fortschritt ver­kauft wur­de, ent­pupp­te sich bei nähe­rer Betrachtung als cle­ve­re Umverteilung von der Arbeit zum Kapital. Die Produktivitätsgewinne der Digitalisierung flos­sen nicht in höhe­re Löhne oder nied­ri­ge­re Preise, son­dern in die Taschen der Kapitaleigner.

Die ent­schei­den­de Erkenntnis: Der tech­ni­sche Fortschritt der letz­ten 40 Jahre hat pri­mär den Kapitalbesitzern genützt, nicht den Arbeitnehmern. Während Maschinen und Computer die mensch­li­che Arbeit ersetz­ten, kas­sier­ten die Besitzer die­ser Maschinen die Gewinne. Die Arbeiter, die die­se Produktivitätssteigerung erst ermög­lich­ten, gin­gen leer aus.

Sind wir wirklich wohlhabender?

Die Statistiken zei­gen ein höhe­res Pro-Kopf-Einkommen und mehr Konsum. Doch die­se Zahlen täu­schen. Ein gros­ser Teil des gestie­ge­nen Wohlstands kon­zen­triert sich bei den obers­ten 10 Prozent der Bevölkerung – den­je­ni­gen, die Kapital besitzen.

Gemessen an der Fähigkeit, sich mit einem Einkommen ein Eigenheim zu leis­ten, eine Familie zu grün­den und für das Alter zu spa­ren, sind wei­te Teile der arbei­ten­den Bevölkerung heu­te schlech­ter gestellt als 1980. Sie sind pro­duk­ti­ver, aber nicht wohl­ha­ben­der geworden.

Offene Fragen für die Zukunft

Die Analyse der letz­ten 40 Jahre wirft unbe­que­me Fragen auf: Wenn schon die bis­he­ri­ge Digitalisierung die Ungleichheit ver­stärk­te, was wird dann die künst­li­che Intelligenz bewir­ken? Werden die Gewinne der KI-Revolution wie­der nur einer klei­nen Elite zugu­te­kom­men? Oder gelingt es dies­mal, die Früchte des Fortschritts brei­ter zu verteilen?

Als jemand, der bei­de Welten erlebt hat – die soli­da­ri­sche Nachkriegszeit und den neo­li­be­ra­len Kapitalismus – stel­le ich fest: Wir sind nicht zwangs­läu­fig bes­ser dran, nur weil wir tech­nisch fort­ge­schrit­te­ner sind. Der Briefträger, der noch Zeit für ein Gespräch hat­te, ver­kör­per­te viel­leicht mehr mensch­li­chen Fortschritt als jeder Algorithmus heute.

Fazit: Die Lektion für Anleger

Diese 40-Jahres-Analyse führt zu einer unbe­que­men, aber kris­tall­kla­ren Erkenntnis: Das System hat sich fun­da­men­tal gewan­delt. Kapital schlägt Arbeit – sys­te­ma­tisch, anhal­tend und mit wach­sen­dem Vorsprung. Wer heu­te nur auf sei­nen Lohn setzt, wird lang­fris­tig abgehängt.

Die Zahlen lügen nicht

Die Beweislage ist erdrü­ckend: Während Löhne real sta­gnier­ten, explo­dier­ten die Kapitalerträge. Der SMI ver­zwölf­fach­te sich seit 1988, Schweizer Immobilien ver­sie­ben­fach­ten ihren Wert, die Dividendenausschüttungen der SMI-Unternehmen ver­vier­fach­ten sich seit 2000. Gleichzeitig kann sich ein Facharbeiter heu­te nur noch 7 Prozent eines Eigenheims leis­ten statt 25 Prozent wie 1980.

Diese Entwicklung folgt wirt­schaft­li­chen Gesetzmässigkeiten: Kapital ist mobil, ska­lier­bar und ver­mehrt sich expo­nen­ti­ell. Arbeitskraft ist begrenzt, lokal gebun­den und unter­liegt mensch­li­chen Grenzen. Ein Franken, klug inves­tiert, wird zu zwei, vier, acht Franken. Ein Arbeiter kann nicht expo­nen­ti­ell pro­duk­ti­ver werden.

Die historische Chance unserer Zeit

Doch es gibt eine revo­lu­tio­nä­re Veränderung: Noch nie war es so ein­fach wie heu­te, selbst zum Kapitalbesitzer zu wer­den. Was vor 25 Jahren nur rei­chen Eliten mit pri­va­ten Bankberatern vor­be­hal­ten war, steht heu­te jedem mit einem Smartphone offen.

Online-Broker ermög­li­chen Aktienhandel für weni­ge Franken Gebühren. ETFs erlau­ben es, mit 100 Franken monat­lich gan­ze Märkte zu kau­fen und an der Wertschöpfung von über 1600 Unternehmen welt­weit teil­zu­ha­ben. Sparpläne auto­ma­ti­sie­ren den Vermögensaufbau. Robo-Advisor opti­mie­ren Portfolios. Was frü­her Millionäre brauch­ten – ein diver­si­fi­zier­tes, glo­ba­les Aktienportfolio – bekommt man heu­te per Mausklick.

Investieren als Notwehr gegen das System

In einer Welt, in der Kapital sys­te­ma­tisch bevor­zugt wird, ist Investieren nicht mehr Luxus oder Hobby, son­dern schlicht Notwehr. Wer sein Geld auf dem Sparkonto lässt, wäh­rend die Inflation die Kaufkraft frisst und gleich­zei­tig die Vermögenspreise explo­die­ren, macht sich sys­te­ma­tisch ärmer.

Die Generation der heu­te 30-Jährigen steht vor einer exis­ten­zi­el­len Entscheidung: Entweder sie lernt, wie Geld für sie arbei­tet, oder sie wird ein Leben lang für Geld arbei­ten müs­sen – mit sin­ken­den Aussichten auf Eigenheim, aus­rei­chen­de Rente oder finan­zi­el­le Unabhängigkeit.

Der Wettlauf gegen die Zeit

Die Analyse zeigt: Jedes Jahr, das ohne Kapitalbildung ver­streicht, ist ein ver­lo­re­nes Jahr. Die Kluft zwi­schen Kapitalbesitzern und Lohnabhängigen wird nicht klei­ner, son­dern grös­ser. Während der SMI in den nächs­ten 20 Jahren mög­li­cher­wei­se wie­der um das Vielfache steigt, wer­den die Löhne bes­ten­falls mit der Inflation Schritt halten.

Wer heu­te 25 Jahre alt ist und monat­lich 500 Franken in einen breit diver­si­fi­zier­ten ETF inves­tiert, kann bei his­to­ri­schen Renditen bis zur Pension über eine Million Franken Vermögen auf­bau­en. Wer die­se 500 Franken auf dem Sparkonto lie­gen lässt, hat nach 40 Jahren real weni­ger Geld als heute.

Die Demokratisierung des Kapitalismus

Das Paradoxe unse­rer Zeit: Während das System die Lohnarbeiter sys­te­ma­tisch benach­tei­ligt, bie­tet es gleich­zei­tig jedem die Möglichkeit, die Seiten zu wech­seln. Die Instrumente des Vermögensaufbaus waren noch nie so zugäng­lich, güns­tig und ein­fach zu nut­zen wie heute.

Die Schweizer Wirtschaftsgeschichte der letz­ten 40 Jahre lehrt uns: Das System hat sich gewan­delt, und nur wer die­se Veränderung ver­steht und nutzt, kann davon pro­fi­tie­ren. Die Entscheidung liegt bei jedem selbst: Weiterhin nur Zuschauer des Kapitalismus sein oder end­lich Mitspieler werden.

Die Geschichte zeigt ein­deu­tig, wel­che Seite gewinnt. Die Frage ist nur: Auf wel­cher Seite ste­hen Sie?

Wenn ich die­sen Bericht im Jahr 2023 schrei­be, ist die Inflation in fast allen west­li­chen Ländern zu hoch. Durch Leitzinserhöhungen ver­su­chen die Zentralbanken, die Inflation in den vor­ge­ge­be­nen Zielkorridor zu drü­cken. Vor die­sem Hintergrund sind Kryptowährungen ver­trau­ens­wür­di­ger, bei ihnen gibt es kei­ne expan­si­ve Geldpolitik einer Zentralbank, die einen sol­chen Wertverlust mit­ver­ant­wor­ten muss. Es stellt sich daher die Frage, ob der Anleger auf die Anlageklasse der Kryptowährungen noch ver­zich­ten kann.

Krypto- versus Fiatwährung

Für mich ist die Unabhängigkeit der Kryptowährungen vom Staat die attrak­tivs­te Eigenschaft. In den letz­ten zwei Jahrzehnten haben wir gese­hen, wie Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik den Markt stark beein­flusst haben. Da vie­le Regierungen ihre Haushalte nicht im Griff haben, muss­te die expan­si­ve Geldpolitik der Zentralbanken her­hal­ten, um das Wirtschaftswachstum anzu­kur­beln. Dies kann frü­her oder spä­ter zu einer zu hohen Inflation füh­ren. Sicherlich sind auch die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg Treiber der aktu­el­len Inflation. Andererseits waren die Staaten wäh­rend der Corona-Krise sehr gross­zü­gig mit ihrer Wirtschaftshilfe.

Andere Vorteile von Kryptowährungen

  • Grenzüberschreitende Transaktionen: Kryptowährungen ermög­li­chen schnel­le und kos­ten­güns­ti­ge grenz­über­schrei­ten­de Transaktionen ohne Zwischenhändler wie Banken. Dies ist beson­ders nütz­lich in Ländern mit ein­ge­schränk­tem Bankenzugang oder insta­bi­len Währungen.
  • Finanzielle Inklusion: Bitcoin ermög­licht Menschen den Zugang zum Finanzsystem, die bis­her davon aus­ge­schlos­sen waren. In Regionen ohne gut aus­ge­bau­te Bankinfrastruktur kann Bitcoin als Ersatz für tra­di­tio­nel­le Bankdienstleistungen dienen.
  • Dezentralisierung: Kryptowährungen basie­ren auf dezen­tra­len Technologien wie der Blockchain, bei der kei­ne zen­tra­le Behörde die Kontrolle hat. Dies kann mehr finan­zi­el­le Autonomie und Unabhängigkeit bieten.

Was treibt den Kurs von Bitcoin

Es ist bekannt, dass ein Notenbanker mit sei­nen Äusserungen den Kurs sei­ner Fiat-Währung und auch die Kurse von Wertpapieren bewe­gen kann. Ausser in Krisenzeiten füh­ren sol­che Aussagen oder Einschätzungen von Notenbankern nur zu gerin­gen Kurssprüngen. Anders beim Bitcoin, wo bei­spiels­wei­se Elon Musk schon mehr­fach für Kursbewegungen in die eine oder ande­re Richtung gesorgt hat. Während Währungshüter Überraschungen mög­lichst ver­mei­den, sieht das bei einer Person wie Elon Musk anders aus. Man muss berück­sich­ti­gen, dass eine ein­zel­ne Person bei Kryptowährungen eine gros­se Kursbewegung aus­lö­sen kann. Hierzug gibt es bei 99bitcoins eini­ge hilf­rei­che Informationen »Bitcoin Historical Price & Events«.

Kryptowährungen sehr volatil

Die Preise von Kryptowährungen kön­nen stark schwan­ken, was zu erheb­li­chen Verlusten oder Gewinnen füh­ren kann. Die hohe Volatilität erschwert die Verwendung als sta­bi­les Wertaufbewahrungsmittel. Anderseits braucht es auch manch­mal viel Geduld, bis sich die Spekulation in eine Kryptowährung lohnt.

Andere Nachteile von Kryptowährungen

  • Regulatorische Unsicherheit: Die recht­li­che und regu­la­to­ri­sche Situation von Kryptowährungen ist oft unklar und kann von Land zu Land stark vari­ie­ren. Dies kann zu Unsicherheit bei Nutzern und Investoren führen.
  • Umweltbelastung: Das Schürfen von Bitcoin erfor­dert gros­se Mengen an Energie, was Bedenken hin­sicht­lich der Umweltauswirkungen auf­wirft. Die Kritik am Energieverbrauch von Bitcoin könn­te zukünf­ti­ge Regulierungsmassnahmen beeinflussen.

Bitcoin das neue Gold?

Sowohl Bitcoin als auch Gold haben ein begrenz­tes Angebot. Bei Bitcoin ist die maxi­ma­le Anzahl der Coins auf 21 Millionen begrenzt, wäh­rend die Menge an Gold auf der Erde eben­falls begrenzt ist. Darüber hin­aus kön­nen sowohl Bitcoin als auch Gold als Inflationsschutz betrach­tet wer­den, da sie nicht belie­big ver­mehrt wer­den kön­nen. Schliesslich wer­den weder Gold noch Bitcoin von einer zen­tra­len Behörde kon­trol­liert, was vor staat­li­cher Willkür schüt­zen soll­te. Andererseits kann die Regierung eines Staates wie der USA den Handel mit bei­den Finanzinstrumenten erheb­lich erschwe­ren. Gegen Bitcoin als Wertaufbewahrungsmittel spre­chen die bis­her hohe Volatilität und die recht­li­chen Unsicherheiten. Von Anlegern, die von Kryptowährungen begeis­tert sind, höre ich oft, dass Anleger auf den Verlust ihrer gesam­ten Investition in Kryptowährungen vor­be­rei­tet sein soll­ten. Nicht gera­de die bes­te Voraussetzung für ein Wertaufbewahrungsmittel.

Wie dezentral sind Altcoins?

Altcoins sind im Allgemeinen weni­ger dezen­tra­li­siert als Bitcoin. Dies liegt dar­an, dass die meis­ten Altcoins von einer klei­nen Gruppe von Entwicklern oder Unternehmen gegrün­det wur­den, die die Kontrolle über die Blockchain und das Münzangebot behalten.

  • Konzentration des Münzangebots: In vie­len Fällen hal­ten eine klei­ne Anzahl von Personen oder Unternehmen einen gros­sen Anteil an den Münzen einer bestimm­ten Altcoin. Dies kann dazu füh­ren, dass die­se Personen oder Unternehmen einen erheb­li­chen Einfluss auf den Preis und die Entwicklung des Altcoins haben.
  • Entwicklergemeinschaft: Eine star­ke und breit gefä­cher­te Entwicklergemeinschaft kann die Dezentralisierung för­dern. Wenn nur weni­ge Entwickler die gesam­te Entwicklung und Wartung einer Kryptowährung kon­trol­lie­ren, ist sie weni­ger dezentral.
  • Mining-Zentralisierung: Viele Altcoins ver­wen­den Proof-of-Work-Konsensmechanismen, bei denen Miner Transaktionen vali­die­ren und neue Coins erzeu­gen. Wenn das Mining von weni­gen gros­sen Pools oder Unternehmen kon­trol­liert wird, kann dies die Dezentralisierung gefährden.
  • Verwaltung und Governance: Die Art und Weise, wie Entscheidungen über Upgrades und Änderungen im Protokoll getrof­fen wer­den, kann die Dezentralisierung beein­flus­sen. Wenn Entscheidungen von einer zen­tra­len Behörde oder einer klei­nen Gruppe getrof­fen wer­den, ist die Kryptowährung weni­ger dezentral.

Jeder der oben genann­ten Punkte soll­te vor einer Investition in eine Kryptowährung geprüft wer­den. Je dezen­tra­ler eine Altcoin ist, des­to gerin­ger ist das Risiko staat­li­cher Eingriffe oder der Bereicherung durch eine ein­zel­ne Person oder Organisationen.

Meme-Kryptowährungen

Ich glau­be, dass es bei eini­gen Menschen unter 40 Jahren den Wunsch gibt, im Lotto zu gewin­nen, ohne selbst Lotto zu spie­len. Zum rich­ti­gen Zeitpunkt in Bitcoin oder Ethereum zu inves­tie­ren hat eini­ge Anleger sehr reich gemacht. Doch die­se Zeit der gros­sen Gewinne könn­te für alter­na­ti­ve Kryptowährungen vor­bei sein. Stattdessen gibt es Meme-Kryptowährungen, die auf humor­vol­le oder sati­ri­sche Art und Weise geschaf­fen wur­den. Diese haben oft kei­ne wirk­li­che Funktion, aus­ser Aufmerksamkeit zu erre­gen und Gewinne für ihre Besitzer zu gene­rie­ren. Auch wenn die­se Projekte als unter­halt­sa­me Experimente dar­ge­stellt wer­den, sind die meis­ten Besitzer wahr­schein­lich dar­auf aus, mög­lichst viel Geld zu gewin­nen. Hinter die­sen Meme-Kryptowährungen ver­ber­gen sich wahr­schein­lich vie­le betrü­ge­ri­sche und unse­riö­se Projekte.

Fazit

Bisher habe ich nur ein paar Hundert Schweizer Franken in Bitcoins inves­tiert. Ich habe damit auch eini­ge Zahlungen getä­tigt. Aus Sicht eines schnel­len Gewinns wür­de ich eher in Hebelinstrumente für Aktien, Rohstoffe, Obligationen oder Fiatwährungen inves­tie­ren. Wie oben erwähnt, schei­nen mir Gold, Silber oder auch Immobilien bzw. Anteile an Immobilienfonds als Wertaufbewahrungsmittel die bes­se­re Wahl zu sein. Ausserdem habe ich bis heu­te nicht her­aus­ge­fun­den, was den Kurs von Bitcoin bewegt. In den letz­ten zwei bis drei Jahren ist die Volatilität des Bitcoins zurück­ge­gan­gen und damit auch die rea­len Verluste und Gewinne. Für eini­ge Investoren wird Bitcoin dadurch inter­es­san­ter, für ande­re lang­wei­li­ger und damit weni­ger bedeut­sam. Ich als eher defen­si­ver Investor wer­de ich Kryptowährungen wei­ter­hin beobachten.

In den letz­ten paar Jahren habe ich kei­ne Beiträge in die­sem Blog ver­fasst. Stattdessen habe ich eine Software für die Portfolio-Verwaltung geschrie­ben. Meine Bedürfnisse deckt die aktu­el­le Version von GT weit­ge­hendst, viel­leicht ist es auch etwas für Sie?

Weitere Informationen fin­den Sie unter GitHub. Es gibt einen YouTube-Kanal und  Bedienungsanleitung wel­che die Features und die Bedienung von GT erklä­ren — die­se wer­den zur Zeit lau­fend erwei­tert. Natürlich kön­nen Sie GT auch selbst aus­pro­bie­ren, bei­spiels­wei­se mit E‑Mail: “gt1@grafioschtrader.info” und Passwort: “gt1”.

Grafioschtrader Portfolios

Aus gutem Grund dis­ku­tiert die­ser Blog grund­sätz­lich kei­ne Einzeltitel von Aktien. In die­sem Beitrag mache ich eine Ausnahme. Die Credit Suisse Group (CS) ist ein Beispiel, wie viel ein lang­fris­tig ori­en­tier­ter Anleger mit der fal­schen Einzeltitelwahl ver­lie­ren kann. Seit der Finanzkrise oder spä­tes­tens mit dem Jahr 2009 ging der Aktienkurs der CS kon­ti­nu­ier­lich nach unten wäh­rend sich der Swiss Market Index (SMI) in Richtung sei­nes Allzeithochs bewegte.

CS SMI Vergleich von 01.01.2000-16.06.2016

Im Februar 2011 war so ziem­lich der letz­te Zeitpunkt um sich von der Aktie der CS zu tren­nen. Damals wur­de letzt­ma­lig ein Gewinn von über 5 Milliarden bekannt gege­ben. Was ist schiefgelaufen?

Der Auf- und Abstieg der europäischen Finanzinstitute

Bis weni­ge Jahre vor der Jahrtausendwende war die Investition in ein Finanzinstitut eher lang­wei­lig. Danach kann der stei­le Aufstieg der Geldhäuser mit anstei­gen­den Jahresgewinnen bis zum Wendepunkt im Jahre 2008, sie­he STOXX® Europe 600 Banks:

Stoxx Europe 600 Bank von 1987 - 2016
Quelle: STOXX® Europe 600 Banks

Mit mini­ma­ler Kapitaldecke maxi­ma­le Rendite ein­fah­ren war die Strategie vie­ler Grossbanken. Bei der CS funk­tio­nier­te die­ses teil­wei­se bis zwei Jahre nach der Finanzkrise von 2008. Danach viel der Reingewinn bei der CS dramatisch:

CS Reingewinn 2009-2015

Seither ist die Regulierung ver­stärkt wor­den und in der Folge redu­zie­ren vie­le Finanzinstitute in Europa ihre Bilanzen. Damit ver­rin­gern sich die Chancen auf Erträge, wobei sich die Kosten nicht im glei­chen Masse reduzierten.

Die Investoren sind nach der Finanzkrise miss­traui­scher gewor­den und ver­lan­gen heu­te mehr Information und Transparenz. Kommt hin­zu das in Europa das Geschäft mit den unver­steu­er­ten Vermögen durch Regulierungen ziem­lich aus­ge­höhlt wur­de. Zusätzlich muss­ten die Banken über die letz­ten Jahre teils saf­ti­ge Strafzahlungen für ihre Vergehen in der Vergangenheit bezahlen.

Spitzenlöhne, Kapitalerhöhungen und Risikoreduzierung

In bin der Meinung, dass die Mitarbeiter erst­klas­sig bezahlt wer­den. Dieser Devise wird die CS mit einem Durchschnittslohn von CHF 226’000 im Jahr 2015 sicher­lich gerecht. Natürlich gibt es dar­un­ter ein paar Prozente der Mitarbeiter die eine oder meh­re­re Millionen erhal­ten. Die Vergütung von Brady Dougan ist bis auf das ver­lust­rei­che Jahr 2015 auch bekannt, wobei er damals im Juni aus­schied. Überdies wur­de Ende März 2010 ver­kün­det, dass Dougan zur Vergütung von 19.2 Mio. zusätz­lich ein 70.9 Mio. Franken Bonus erhielt.

Dougan Vergütung 2009 - 2015

Wenn etwas bei der CS miss­glückt, so wird bei ihren Aktionären die hoh­le Hand gemacht. Im 2012 und 2015 gab es bei der CS Kapitalerhöhungen. Damit sank der Gewinn pro Aktie von über 5 Franken im Jahr 2009 auf unter einem.

CS Gewinn pro Aktie 2009 - 2015

Alle Jahre im Februar

Im Folgenden fin­de ich es inter­es­sant wie Brady Dougan bzw. Tidjane Thiam das ver­gan­ge­ne Geschäftsjahr kom­men­tier­ten. Offensichtlich lässt sich aus die­sen Statements nicht die Zukunft ableiten.

Geschäftsjahr 2010

Im 2010 war Brady Dougan noch sehr über­zeugt von sei­nem Business Modell. Der dama­li­ge Reingewinn lag noch über 5 Milliarden und dies ergab eine Eigenkapitalrendite von 15%. Er brüs­tet sich mit der angeb­lich wenig risi­ko­rei­chen Strategie:

Quelle: NZZ Impluse, 10.02.2011: Brady Dougan, CEO der Credit Suisse “Unser Modell ist durch­aus glaubwürdig”

Geschäftsjahr 2011

Im 2011 gab es einen gewal­ti­gen Gewinneinbruch von 62% gegen­über dem Vorjahr. Der CS-Chef Dougan war sehr ent­täuscht. Leider erwähn­te er nicht, dass die­ser Jahresgewinn von 2 Milliarden eher der Zukunft ent­sprach als die 5 Milliarden aus dem Vorjahr. Erstmals spricht er von der Reduzierung der Kosten und Risiken:

Quelle: SRF, Tagesschau vom 9.02.2012 — Credit Suisse mit Gewinneinbusse

Geschäftsjahr 2012

Der Gewinn redu­zier­te sich gegen­über dem Vorjahr noch­mals. Brady Dougan sprach von einem Umbau ihres Geschäftsmodells. Scheinbar war die gelob­te Strategie aus dem Jahr 2010 doch nicht zukunftsfähig:

Quelle: SRF, Tagesschau vom 7.02.2013 — Credit Suisse mit schwar­zen Zahlen im 2012

Geschäftsjahr 2013

Brady Dougan war 2013 mit der Kapitalrendite von 9 % zufrie­den, der Gewinn stieg wie­der auf über 3 Milliarden. Leider wur­de die­ser anfäng­lich mit­ge­teil­ter Jahresgewinn cir­ca 2 Monate spä­ter von 3’069 Mrd. auf 2’326 Mrd. nach unten korrigiert:

Quelle: SRF, SF-Börse, 6.02.2014: Credit Suisse-Chef Brady Dougan ist zufrie­den mit dem Geschäftsjahr 2013

Geschäftsjahr 2014

Obwohl sich der Gewinn zum Vorjahr auf 1’785 Millionen redu­zier­te, war Dougan dar­über erfreut:

Quelle: SRF-Börse vom 12.02.2015

Geschäftsjahr 2015

Im 2015 wur­de die CS von der Vergangenheit ein­ge­holt. Offensichtlich hat Supermanager Brady Dougan über Jahre hin­weg die Altlasten vor sich hin­ge­scho­ben. Wobei er natür­lich nicht der Alleinschuldige ist, es gäbe dazu vie­le Namen wie bei­spiels­wei­se die Verwaltungsratspräsidente Walter Kieholz, Hans-Ulrich Doerig und Urs Rohner. Im Jahr 2000 wur­de für knapp CHF 20 Milliarden die Investmentbank Donaldson, Lufkin & Jenrette (DLJ) ein­ge­kauft. Mit dem Jahresabschluss wur­de der Goodwill auf die­sem Posten um 3.8 Milliarden abgeschrieben:

Quelle: SRF-Tagesschau vom 4.2.2016 — CS macht Milliarden-Verlust

Fazit

Für die Strategie »Kaufen und hal­ten« waren Aktien der schwei­ze­ri­schen Grossbanken eine schlech­te Wahl. Wer 1998 in die Finanzriesen inves­tier­te, hät­te die Hälfte und mehr des Geldes ver­lo­ren. Beide Banken erwar­ben im Jahre 2000 eine US-Investmentbank und folg­ten danach einer risi­ko­be­haf­te­ten Strategie.

Aus mei­ner Sicht ver­brei­te­te der CS-Chef Dougan ab dem Jahr 2012 sehr vie­le Durchhalteparolen, er war nicht bereit für eine Strategieumkehr. Für die Aktionäre war auf­grund sei­ner opti­mis­ti­schen Kommunikation nicht sofort offen­sicht­lich, dass die fet­ten Jahre der Vergangenheit angehörten.

Ein Kleinanleger mit nur ein paar Einzeltitel in sei­nem Portfolio, war län­ger­fris­tig mit den zwei schwei­ze­ri­schen Grossbanken schlecht bera­ten. Ich habe schon eini­ge Bedenken beim Kauf eines ETF auf den SMI oder den Swiss Performance Index (SPI). Bei Ersteren domi­nie­ren die Schwergewichte Nestlé, Roche und Novartis über 60 % des Index, bei Zweiterem immer­hin noch etwa 50 %. Eine Alternative dazu ist der Swiss Leader Index (SLI). Bei die­sem beträgt die maxi­ma­le Gewichtung 9 % an der Gesamtgewichtung.

Gemäss Richard Forster von der Yale School of Managment hat sich die durch­schnitt­li­che Lebensspanne von Unternehmen im Standard & Poor’s 500 (S&P) Börsenindex von 67 in den 1920ern auf etwa 15 Jahre in den 2010ern Jahren redu­ziert. Wobei die meis­ten Firmen durch Übernahmen oder Fusionen ster­ben. Zudem ist die Lebensdauer sehr kul­tur­ab­hän­gig, in Japan ist die Mortalitätsrate der Unternehmen viel gerin­ger. Dies macht deut­lich, dass die Wahl eines zukünf­tig erfolg­rei­chen Einzeltitels sehr schwie­rig ist. Natürlich kann der Aktionär oft­mals von Kursgewinnen am über­nom­men Unternehmen profitieren.

Einen wei­te­ren Teil zum Thema CHF woll­te ich schon Ende Dezember schrei­ben. Durch die Ereignisse der let­zen Woche muss­te ich die­sen Beitrag ändern bzw. ergän­zen. Seitdem hat der Titel die­ser Serie fast wie­der sei­ne unein­ge­schränk­te Berechtigung.
Letzte Woche wur­den sicher­lich die meis­ten von der Aufgabe des Euro-Franken-Mindestkurses über­rascht. Anderseits wur­de seit cir­ca einem Monat die SNB-Politik des Mindestkurses teil­wei­se kri­ti­siert. Offensichtlich getrie­ben durch den Anstieg des USD gab es erneut Vorschläge das Regime eines Mindestkurses an einen Währungskorb zu bin­den oder den Mindestkurs zu redu­zie­ren. In den Schweizer Medien häuf­ten sich die Schlagzeilen über den schein­bar schwa­chen EURO.

War der EURO wirklich so schwach?

Ende Dezember und Anfangs Januar waren in der Schweiz die Schlagzeilen fast täg­lich vom angeb­lich schwä­cheln­den Euro geprägt. Dabei ver­ein­fach­ten unse­re US-ame­ri­ka­nisch gerich­te­ten Medien ein­mal mehr, indem sie sich bei ihrer Bewertung aus­schliess­lich am USD orientierten.


Quelle: SRF, Rendez-Vous vom 5.01.2015 — Anhaltendes Euro-Tief

Im fol­gen­den Chart ist der CHF-Kursverlauf, vor dem 14.01.2015, zu eini­gen wich­ti­gen Währungen wäh­rend eines hal­ben Jahres abgebildet:

CHF Währungsvergleich 6 Monate bis 14.01.2015
Quelle: Google Finance

Daraus ist erkenn­bar, dass vor­wie­gend der USD gegen­über dem EUR zuleg­te. Andere Währungen wie bei­spiels­wei­se die nor­we­gi­sche und schwe­di­sche Krone haben sogar eini­ge Prozente ein­ge­büsst. Die Entscheidung für den Ausstieg aus dem Euro-Mindestkurs lässt sich bis am 14.01.2015 kaum nur mit dem Erstarken des USD begründen.

SNB kündigt Negativzins auf Giroguthaben an

Im Dezember star­te­te eine wei­te­re Periode mit dem Erstarken des USD. Teilweise ver­ur­sacht durch die Zuspitzung der Krise in Russland. Diese Unsicherheit an den Finanzmärkten führ­te zu einem Aufwertungsdruck des CHF. Daher kün­de­te der SNB-Präsident am 18.12.2014 einen Negativzins auf Giroguthaben ab 22.01.2015 an:


Quelle: SRF vom 18.12.2014 — Nationalbank-Präsident Thomas Jordan an der Medienkonferenz

Allein im Dezember 2014 haben die Devisenstände der SNB um CHF 32.4 Milliarden auf CHF 495.1 Milliarden zuge­nom­men. Hierzu ein klei­nes Rechenbeispiel um sich der Devisenreserve zu ver­ge­gen­wär­ti­gen. Die Schweiz hat cir­ca 8.1 Millionen Einwohner, wür­de die SNB ihre Devisenreserve unter dem Volk auf­tei­len, so ergä­be dies einen Betrag von über CHF 60‘000 pro Kopf. Die gesam­te Bilanzsumme der SNB näher­te sich zuse­hends dem schwei­ze­ri­schen Bruttoinlandsprodukt von cir­ca CHF 600 Milliarden. Die US-Zentralbank (Fed) wur­de oft kri­ti­siert für ihre Gelddruckerei, jedoch beträgt deren Bilanz cir­ca USD 4.5 Billionen bei einem BIP von cir­ca USD 16.8 Billionen. Natürlich hinkt die­ser Vergleich, die Fed kauf­te ame­ri­ka­ni­sche Staatsschulden auf, wäh­rend­des­sen die SNB das Geld für Fremdwährungskäufe druckte.

Schneider-Ammann und seine Einschätzung im 2011 zu Negativzins

Schon im Jahre 2011 wur­de der Negativzins vor der Einführung der Kursuntergrenze dis­ku­tiert. Damals äus­ser­te sich Bundesrat Schneider-Ammann sehr distan­ziert zu die­ser Massnahme. Offensichtlich hat die Direktion der SNB bezüg­lich der posi­ti­ven Wirkungsweise die­ses Instruments eine ande­re Einschätzung als Wirtschaftsminister Schneider-Ammann:


Quelle: SRF, Samstagsrundschau vom 6.08.2011 — Schneider-Ammann: «Keine Negativ-Zinsen»
Weiterlesen